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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
DOI Kapitel:
2. Forschungsschwerpunkt: Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0271
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Das WIN-Kolleg

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Vor diesem Horizont war in einem ersten Schritt auf der Grundlage einer brei-
teren Auseinandersetzung mit den komputistisch-astronomischen Sammlungen seit
der Karolingerzeit, der repräsentative Charakter des Computus Abbos aufzuweisen.
Hierbei ergab sich, daß in der handschriftlichen Überlieferung des Untersuchungs-
zeitraums vielfältige literarische Traditionen zusammenfließen und durch gezielte
Modifikationen weiterentwickelt werden. Dieser Vorgang spiegelt sich beispielswei-
se in der sukzessiven Umformung schlichter technisch-funktionaler Hilfstabellen in
hermeneutisch mehrschichtige, symbolisch modifizierte diagrammatische Darstel-
lungen oder in der Herausbildung der sogenannten rotae computisticae. Vergleichbare
Entwicklungen werden auch im Bereich der traktatartigen Typen sichtbar.
An diesen Beispielen wird eine für die Fragestellung des Projektes bedeutsame
Entwicklung im Bereich der Komputistik greifbar die Sprengung ihres ursprüng-
lichen engen, technisch-funktionalen Rahmens und ihr Aufgehen in einem die
Gesamtheit der natürlichen Phänomene fokussierenden Kontext. Aufgrund konzep-
tioneller Veränderungen im karolingischen Wissenschaftsverständnis ist dieser Kon-
text nunmehr als quadruvial zu bezeichnen und zielt auf eine theologisch ausge-
richtete, mit neuplatonisch inspirierten Mitteln operierende Erfassung des Wirklich-
keitsganzen. Den Höhepunkt dieser Entwicklungen markiert der Computus Abbos.
Um die Charakteristika der symbolischen Rationalität im Bereich des Quadriviums
präziser beschreiben zu können, wurden daher die verschiedenen Elemente, die seine
komputistisch-astronomische Hauptschrift konstituieren, einer detaillierteren Analyse
unterzogen.
Parallel dazu wurden die komputistisch-astronomischen Schriften Hermanns
eingehender auf ihren begrifflich-universalen Charakter hin untersucht. Gegenüber
den älteren Zeugnissen dieses Wissenschaftsbereiches zeichnen sie sich durch eine
konsequente Sachlogik aus, die ausschließlich technisch-funktionalen Kriterien
folgt. Weder die theologische Ausrichtung, noch die neuplatonisch gekennzeichne-
ten Ausdeutungen sind in der bisher gängigen Form präsent. Darüber hinaus liegt
Hermanns Argumentationsweise jedoch eine durchaus ungewöhnliche Struktur
zugrunde. Er geht von einer zentralen Prämisse aus: der aequalitas, aus der alle wei-
teren Größen des komputistisch-astronomischen Regelwerks hergeleitet werden.
Dabei gewinnt die Mathematik in ihrer Funktion als der allem maßgeblichen
Methode einen gesetzesartigen Charakter. Bemerkenswerterweise beruhen Her-
manns Überzeugung, die Welt als mathematisch geordnete und folglich berechenba-
re begreifen zu können, sowie die aequalitas-P firnisse selbst auf seinem theologisch
fundierten Weltbild und zeugen von einem vergleichbaren Wissenschaftsanliegen wie
dem seiner Vorgänger. Der Übergang zu einem universalen Denken läßt sich in die-
sem Lichte als eine spezifische Ausprägung symbolischer Rationalität interpretieren,
die am ehesten als deren Zuspitzung zu bezeichnen ist.
DieTheoretisierungs- und Professionalisierungstendenzen im Bereich der wis-
senschaftlichen Erkenntnis und des wissenschaftlichen Wissens bedingen, wie sich
gezeigt hat, die fortschreitende Desintegration von Glauben und Wissen, von profes-
sioneller wissenschaftlicher Forschung und Frömmigkeitspraxis, wobei aber doch
 
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