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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
DOI Kapitel:
2. Forschungsschwerpunkt: Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0273
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Das WIN-Kolleg

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Worten, sie bildet den onentierungs- und sinnstiftenden kulturellen Horizont, in
dem diese obersten Begriffen und Sätze verhaftet sind.
Die fortschreitende Ausgestaltung der Frömmigkeitspraxis korrespondiert
somit der Theoretisierung und Professionalisierung der Wissenschaft, die, aus ihrem
ursprünglichen Praxisbezug gelöst, zugleich ihre welterschließende Kompetenz ein-
büßt. Dadurch wiederum entsteht ein gesteigertes Bedürfnis an einer Erneuerung
des wissenschaftlichen Denkens im Sinn eines wiederbelebten Erfahrungs- und
Anwendungsbezugs. Exemplarisch wird dieser Aspekt im vierten Teilprojekt unter-
sucht, das dem Leben und Werk des Andrea Alpago gewidmet ist, der im 16. Jahr-
hundert mehrere Jahrzehnte lang als Arzt an der Venezianischen Gesandtschaft in
Damaskus wirkte. Raphaela Veit stellte im Jahr 2004 die Frage nach Andrea Alpagos
ärztlicher Betätigung in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Nach Aufarbeitung
der Forschung zu Andrea Alpago stellte sich heraus, daß seine Bezüge zu prominen-
ten Persönlichkeiten seines orientalischen Umfelds bei weitem nicht in dem Umfang
gesichert sind, wie dies in der Forschungsliteratur bislang nahezu durchgängig
behauptet wurde. Auch fällt es schwer, seine ärztliche Tätigkeit näher zu bestimmen:
Seine Verankerung im Paduaner Medizinstudium läßt sich für sein Studium nicht
quellenkundig machen, und auch wenn er nach seiner Rückkehr aus dem Orient
den außerordentlichen Lehrstuhl für praktische Medizin in Padua übertragen
bekam, so ist weitgehend unklar, inwiefern er seine Lehrtätigkeit tatsächlich aus-
übte. In Damaskus selbst war Alpago nicht nur als Arzt sondern offenbar auch als
Händler und Spion tätig. In welchem Umfang diese Tätigkeiten miteinander kon-
kurrierten, läßt sich wiederum nachträglich nur sehr schwer bestimmen. Alpagos
Ruhm gründet auf seiner Bearbeitung von Avicennas Canon. Als Anhang zum
Canon verfaßte er eine Interpretatio Arabicorum Nominum. Die Interpretatio besteht aus
circa 2050 Stichwörtern. Die einzelnen Stichwörter sind zumeist Transliterationen
eines arabischen Wortes und seine lateinischen Übersetzung, vor allem Begriffe aus
der Tier- und Pflanzenwelt oder Namen von Mineralien, die im Canon besprochen
werden. Die etwas ausführlicheren Stichwörter geben Einblicke in das damalige All-
tagsleben in Syrien, liefern Händlerinformationen (zu Märkten, Karawanen und
Produkten), und einige beleuchten schließlich mehr oder weniger direkt Alpagos
ärztliches Umfeld.
Dabei erteilen nur etwa 20 inhaltlich wenig ergiebige Stichwörter Auskunft
über Alpagos praktische Tätigkeit als Arzt. So bleiben etwa Fragen nach einem
tatsächlichen Arzt-Patienten-Kontakt offen; auch scheint sich Alpago nicht über die
im islamischen Raum berühmten Krankenhäuser (bimäristän) informiert zu haben,
die der Krankenpflege und Ärzteausbildung dienten. Die Interpretatio offenbart
jedoch ein breites, zumindest angelesenes pharmakologisches Wissen. Fraglich ist
aber, ob sich Alpagos Interesse an Drogen in erster Lime aus seiner ärztlichen Tätig-
keit oder aus seinen merkantilen Interessen erklärt. Als Erklärung für Alpagos man-
gelnde Erfahrung mit dem bimäristän mag man seine Kontakte zu hochgestellten
Kreisen anführen, in denen eine Privatbehandlung bei Krankheit üblich war. Hier
darf seine Bekanntschaft mit Ibn Makki, dem damaligen Oberhaupt der Damaszener
 
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