Annette Gerok-Reiter
ein Zeichen dafür, dass jedes dieser Bilder eine bestimmte Funktion erfüllt in der
partikularen mentalen Konstitution und den Erwartungen, die ein jeweils gegen-
wärtiges chinesisches Lesepublikum entwickelt. Bildquellen können uns so helfen,
konventionelle historische Darstellungen zu revidieren.10 Eine wichtige Erkennt-
nis, die sich aus dem Studium der interaktiven und kontrastiven Bildwelten und
historischen visual mindmaps in den Printmedien ergibt, ist das, was ja auch die
Psychoanalyse uns lehrt: dass die Fantasie keine flache Realität ist, dass aber die
Fantasie die Realität stützt und sie davor bewahrt in Bedeutungslosigkeit zu verfal-
len. Die Bilder, die wir hier gesehen haben, sind Teil eines Prozesses des Wandels
- wollen wir sehen, was passiert, wenn die reizvollen Bilder der Gegenwart heute
eine Präsenz in der Zukunft morgen bekommen.
Annette Gerok-Reiter
„Vom Sinn und Unsinn, sich mit dem Frühen Minnesang zu
beschäftigen"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 17. Juli 2015
Wie beginnt das Sprechen über weltliche Minne in deutschsprachiger Lyrik? Hart
resümiert, so wird in der Zeitschrift „Elysium und Tartarus“ 1806 berichtet, kein
Geringerer als Friedrich Schiller seine Lektüre: „Und die Blumen, die duften, und die
Früchte, die reifen, und ein Zweig, worauf ein Vogel im Sonnenschein sitzt und singt, und
der Frühling, der kommt, und der Winter, der geht, und nichts, was dableibt - als die Lange-
weile. “ Die Forschung zum Minnesang hat sich in der Folge jedoch nicht Friedrich
Schiller, sondern Ludwig Tieck, einem der frühesten Editoren mittelhochdeut-
scher Liebesdichtung, angeschlossen, was das kleinere Handicap bot, gleichwohl
ein Handicap blieb - mit problematischen Auswirkungen bis ins 20. Jahrhundert.
Denn Tiecks positive Wertung basierte auf einer romantisch aufgeladenen Ur-
sprungssemantik des ,Unschuldigen4, ,Einfachen4 und ,Unverstellt-Naturhaften4,
mit der er die weitere Rezeption des Minnesangs nachhaltig prägte. Seine Ur-
sprungssemantik war nicht allzuweit von Schillers Wahrnehmungskategorien ent-
fernt, aber in der Wertung um 180 Grad gewendet. Als die anschließende For-
schung gegen die These des ,Unverstellt-Eigenen4 und ,Kindlich-Naturhaften‘ des
Minnesangs zu Recht den bereits früh sich abzeichnenden französischen Einfluss
geltend machte, fokussierte man die eingespielte Auflassung der ,ursprünglichen
Naturhaftigkeit4 auf den allerfrühesten Minnesang, die Anfänge des Anfangs, die
nun als ,Vorstufe4 auf dem Weg zum französisch beeinflussten, komplexen Modell
der Hohen Minne gelten konnten.
10 Barbara Mittler, “Gendered Advertising in China: What History do Images Teil?” European
Journal qf Chinese Studies 6, no.l (2007): 13-41.
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ein Zeichen dafür, dass jedes dieser Bilder eine bestimmte Funktion erfüllt in der
partikularen mentalen Konstitution und den Erwartungen, die ein jeweils gegen-
wärtiges chinesisches Lesepublikum entwickelt. Bildquellen können uns so helfen,
konventionelle historische Darstellungen zu revidieren.10 Eine wichtige Erkennt-
nis, die sich aus dem Studium der interaktiven und kontrastiven Bildwelten und
historischen visual mindmaps in den Printmedien ergibt, ist das, was ja auch die
Psychoanalyse uns lehrt: dass die Fantasie keine flache Realität ist, dass aber die
Fantasie die Realität stützt und sie davor bewahrt in Bedeutungslosigkeit zu verfal-
len. Die Bilder, die wir hier gesehen haben, sind Teil eines Prozesses des Wandels
- wollen wir sehen, was passiert, wenn die reizvollen Bilder der Gegenwart heute
eine Präsenz in der Zukunft morgen bekommen.
Annette Gerok-Reiter
„Vom Sinn und Unsinn, sich mit dem Frühen Minnesang zu
beschäftigen"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 17. Juli 2015
Wie beginnt das Sprechen über weltliche Minne in deutschsprachiger Lyrik? Hart
resümiert, so wird in der Zeitschrift „Elysium und Tartarus“ 1806 berichtet, kein
Geringerer als Friedrich Schiller seine Lektüre: „Und die Blumen, die duften, und die
Früchte, die reifen, und ein Zweig, worauf ein Vogel im Sonnenschein sitzt und singt, und
der Frühling, der kommt, und der Winter, der geht, und nichts, was dableibt - als die Lange-
weile. “ Die Forschung zum Minnesang hat sich in der Folge jedoch nicht Friedrich
Schiller, sondern Ludwig Tieck, einem der frühesten Editoren mittelhochdeut-
scher Liebesdichtung, angeschlossen, was das kleinere Handicap bot, gleichwohl
ein Handicap blieb - mit problematischen Auswirkungen bis ins 20. Jahrhundert.
Denn Tiecks positive Wertung basierte auf einer romantisch aufgeladenen Ur-
sprungssemantik des ,Unschuldigen4, ,Einfachen4 und ,Unverstellt-Naturhaften4,
mit der er die weitere Rezeption des Minnesangs nachhaltig prägte. Seine Ur-
sprungssemantik war nicht allzuweit von Schillers Wahrnehmungskategorien ent-
fernt, aber in der Wertung um 180 Grad gewendet. Als die anschließende For-
schung gegen die These des ,Unverstellt-Eigenen4 und ,Kindlich-Naturhaften‘ des
Minnesangs zu Recht den bereits früh sich abzeichnenden französischen Einfluss
geltend machte, fokussierte man die eingespielte Auflassung der ,ursprünglichen
Naturhaftigkeit4 auf den allerfrühesten Minnesang, die Anfänge des Anfangs, die
nun als ,Vorstufe4 auf dem Weg zum französisch beeinflussten, komplexen Modell
der Hohen Minne gelten konnten.
10 Barbara Mittler, “Gendered Advertising in China: What History do Images Teil?” European
Journal qf Chinese Studies 6, no.l (2007): 13-41.
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