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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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B. Die Forschungsvorhaben
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II. Tätigkeitsberichte (chronologisch)
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5. Goethe-Wörterbuch (Tübingen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0168
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B. Die Forschungsvorhaben

Im Juni 2015 erschien Drucklieferung VI. 6 („natürlicherweise - niederländisch“),
zum Jahresende noch VI. 7 („niederlassen - Oberleitung“). In der Verantwortung
der Tübinger Arbeitsstelle lag die druckvorbereitende Enddurchsicht („Redakti-
on 2“) für die geplante Lieferung VI.8 („Obst - Original“). In Bearbeitung war die
Strecke „sein - Spartium“.
Zu den größeren Herausforderungen dieser Strecke gehörte das in sich selbst
semantisch äußerst vielseitige Lemma „Seite“, bei dessen Bearbeitung es galt,
keine der zahlreichen Bedeutungen und Bedeutungsnuancen versehentlich „zur
Seite zu lassen“, auch nicht das mörderische „jemanden auf die Seite schaffen“!
Und wiederum spielten modische Lrisuren eine Rolle: Herzog Karl August von
Sachsen-Weimar, dreißig Jahre, nachdem er sich den damals avantgardistischen
„Schwedenkopf“ zugelegt hatte (vgl. Jahrbuch 2014, S. 131), erwog im Jahre 1813
das Wagnis der heutigen Trendfrisur „Undercut“, das Abrasieren des „Seitenhaars“,
wovon Goethe, wegen möglicherweise unerwünschter Nachhaltigkeit dieser
Maßnahme, abriet. Immer zugeraten (und zugegriffen) hat er bei „Selterswasser“
(aus Niederselters im Taunus) und „Selzerwasser“ (aus einer frankfurter Quelle),
die von Goethes Schreibern, seinen Editoren wie Kommentatoren gern verwech-
selt werden. Nun, so „seltsam“ ist das nicht, eher schon der Befund, dass dessen
Bedeutung „selten, rar“ bei Goethe noch recht lebendig war, während sie heuti-
gentags nur noch im Niederländischen geläufig ist. Übrigens hat auch „sonderbar“
bis in Goethes letztes Lebensjahrzehnt u. a. diese ältere Bedeutung: „Durch ein
sonderbares Glück wohnen in meinem Hause nur f rauenzimmer, die still und
verträglich sind“ bekennt er im Sommer 1823 gegenüber „Urfreund“ Knebel.
Zu den anspruchsvollsten Lemmata der Partie gehörte „setzen“ mit seinen
immerhin vierzehn sauber zu „sondernden“ Hauptbedeutungen - eine Heraus-
forderung auch für lexikographische Lachkräfte, die sich an die Bearbeitung dieses
Stichworts setzen, nicht zuletzt wegen vieler aus dem Handwerk oder Bergbau
stammender Sonderbedeutungen. Mit dem Ergebnis hat die Tübinger Arbeits-
stelle ihr Licht nicht „unter den Scheffel gesetzt“ - ein weiteres Beispiel für den
Befund, dass bei etlichen Redensarten „setzen“ noch anstelle des heute gängige-
ren „stellen“ fungiert. - Mit „Sicherheit“ ist „sicher“ bei Goethe ähnlich differen-
ziert, wie wir es kennen, doch liegt noch ein deutlich stärkeres Gewicht auf dem
rechtssprachlichen Gebrauch: abgesichert gegen (finanzielle) Ansprüche, rechtli-
che Belangung. Eine Trouvaille ist die Wortschöpfung „Sicherplatz“ für ein Refu-
gium, z. B. für einen „Singulus“ - kein „Single“ im heutigen Sinne, sondern ein
steuerpflichtiges Subjekt. Das wird kaum ein armer „Soldat“ sein, der es nun im
Wörterbuch aber immerhin auf gut dreißig Ableitungen und Zusammensetzun-
gen bringt, jedoch weit übertroffen vom „Sommer“ mit rund neunzig Komposita.
„Sollen“ ist um 1800 noch ganz selbstverständlich auch Vollverb, und zwar in den
Bedeutungen „schulden“ und „nutzen“. Blass bleibt das Sollen bei Goethe im Aus-
druck moralischer Pflicht bzw. allgemeinverbindlicher ethischer/religiöser Norm.

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