11. Die Vermessung der Welt (WIN-Programm)
ders. und Ralph Christensen, Die Sprache des Gesetzes ist nicht Eigentum der Juristen. Von der
Prinzipienspekulation zur empirischen Analyse der Abwägung, in: Müller/Mastronardi
(Hrsg.), „Abwägung“. Herausforderung für eine Theorie der Praxis, Berlin 2014, S. 87 ff.
ders., Ralph Christensen und Stephan Pötters, Richterrecht der Arbeit - empirisch untersucht.
Möglichkeiten und Grenzen computergestützter Textanalyse am Beispiel des Arbeitneh-
merbegriffs, Berlin 2015.
7 7, Die Vermessung der Wett: Religiöse Deutung und empirische
Quantifizierung im mittelalterlichen Europa
Kollegiat: Dr. Christoph Mauntel1
Mitarbeiterin: Carolin Wöhrle (bis September 2015),
Elena Ziegler (ab Oktober 2015)
1 Graduiertenkolleg „Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800 - 1800)“, Universität Tü-
bingen
„Was interessiert es mich, den Umfang der Erde zu messen, den die Geometer auf
180.000 Stadien berechnet haben? Gern gestehe ich in dem, was ich nicht weiß,
meine Unwissenheit, oder vielmehr mein Wissen, wie wertlos solches Wissen für
die Zukunft ist. Die Kenntnis über die Art der Erde ist besser als die über deren
Ausdehnung. Wie könnten wir diese auch erfassen, wenn sich doch ringsum das
Meer ergießt, sich dazwischen die Länder der Barbaren erstrecken sowie umspül-
ter, unwegsamer Sumpfboden?“ (Ambrosius, Hexameron VI,7)
Beinahe wütend wandte sich der Bischof von Mailand und spätere Kirchen-
lehrer Ambrosius in den 380er Jahren gegen die Tradition der antiken Geogra-
phie, auf der Basis von Berechnungen und Hypothesen die Gestalt der Erde und
des Kosmos zu beschreiben. Wissen, so Ambrosius, könne solche Dinge nur Gott,
nicht aber der Mensch. Spekulative Aussagen lehnte er, ebenso wie vor ihm Lak-
tanz und nach ihm Augustinus, brüsk ab. Damit wandten sich einflussreiche früh-
christliche Autoren wortmächtig gegen ein Kernelement antiker Philosophie. Statt
der Pluralität von Hypothesen wünschte man sich Eindeutigkeit des Wissens, statt
des Kosmos rückte nun die ,bekannte Welf, die Oikumene, in den Blick, deren
Studium als religiös erwünscht galt:1 „Es ist diese Welt ein Spiegelbild des göttli-
chen Schaffens: das Schauen des Werkes führt zum Lobe des Meisters.“ (Ambro-
sius, Hexcinieron 1,17). Damit wurde zwar kein frühchristliches Vermessungsverbot
konstatiert, eine hypothetische Herangehensweise an die Kosmologie aber deutlich
1 Vgl. Frank Schleicher, Cosmographia Christiana. Kosmologie und Geographie im frühen Chris-
tentum, Paderborn 2014, S. 35.
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ders. und Ralph Christensen, Die Sprache des Gesetzes ist nicht Eigentum der Juristen. Von der
Prinzipienspekulation zur empirischen Analyse der Abwägung, in: Müller/Mastronardi
(Hrsg.), „Abwägung“. Herausforderung für eine Theorie der Praxis, Berlin 2014, S. 87 ff.
ders., Ralph Christensen und Stephan Pötters, Richterrecht der Arbeit - empirisch untersucht.
Möglichkeiten und Grenzen computergestützter Textanalyse am Beispiel des Arbeitneh-
merbegriffs, Berlin 2015.
7 7, Die Vermessung der Wett: Religiöse Deutung und empirische
Quantifizierung im mittelalterlichen Europa
Kollegiat: Dr. Christoph Mauntel1
Mitarbeiterin: Carolin Wöhrle (bis September 2015),
Elena Ziegler (ab Oktober 2015)
1 Graduiertenkolleg „Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800 - 1800)“, Universität Tü-
bingen
„Was interessiert es mich, den Umfang der Erde zu messen, den die Geometer auf
180.000 Stadien berechnet haben? Gern gestehe ich in dem, was ich nicht weiß,
meine Unwissenheit, oder vielmehr mein Wissen, wie wertlos solches Wissen für
die Zukunft ist. Die Kenntnis über die Art der Erde ist besser als die über deren
Ausdehnung. Wie könnten wir diese auch erfassen, wenn sich doch ringsum das
Meer ergießt, sich dazwischen die Länder der Barbaren erstrecken sowie umspül-
ter, unwegsamer Sumpfboden?“ (Ambrosius, Hexameron VI,7)
Beinahe wütend wandte sich der Bischof von Mailand und spätere Kirchen-
lehrer Ambrosius in den 380er Jahren gegen die Tradition der antiken Geogra-
phie, auf der Basis von Berechnungen und Hypothesen die Gestalt der Erde und
des Kosmos zu beschreiben. Wissen, so Ambrosius, könne solche Dinge nur Gott,
nicht aber der Mensch. Spekulative Aussagen lehnte er, ebenso wie vor ihm Lak-
tanz und nach ihm Augustinus, brüsk ab. Damit wandten sich einflussreiche früh-
christliche Autoren wortmächtig gegen ein Kernelement antiker Philosophie. Statt
der Pluralität von Hypothesen wünschte man sich Eindeutigkeit des Wissens, statt
des Kosmos rückte nun die ,bekannte Welf, die Oikumene, in den Blick, deren
Studium als religiös erwünscht galt:1 „Es ist diese Welt ein Spiegelbild des göttli-
chen Schaffens: das Schauen des Werkes führt zum Lobe des Meisters.“ (Ambro-
sius, Hexcinieron 1,17). Damit wurde zwar kein frühchristliches Vermessungsverbot
konstatiert, eine hypothetische Herangehensweise an die Kosmologie aber deutlich
1 Vgl. Frank Schleicher, Cosmographia Christiana. Kosmologie und Geographie im frühen Chris-
tentum, Paderborn 2014, S. 35.
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