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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

DOI chapter:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
DOI chapter:
I. Antrittsreden
DOI article:
Rietschel, Marcella: Marcella Rietschel: Antrittsrede vom 18. Juli 2015
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0321
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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

ne die gemeinsame Freude am Denken und ohne die Unterstützung und Freund-
schaft von Herrn Prof Propping und seinem Mitarbeiter und späteren Nachfolger
Herrn Prof Nöthen nicht durchgehalten hätte.
Die Varianten im Genom waren noch nicht erforscht und wir benötigten gro-
ße Patientenstichproben mit einer Charakterisierung der Krankheitssymptome,
die weit über die traditionellen Diagnosen hinausging. Nach meiner Ausbildung
zur medizinischen Genetikerin in der Humangenetik begann ich 1991 in der Psy-
chiatrie in Bonn zu arbeiten, wo ich im Leiter der Klinik, Herrn Prof. Maier einen
weiteren Mentor fand. Auch nach meiner Berufung 2002 an das ZI als Direktorin
der Abteilung Genetische Epidemiologie in der Psychiatrie arbeiten wir weiterhin
alle eng zusammen.
Die Arbeit war nicht von schnellen Erfolgen gekrönt und mühsam. Beispiels-
weise benötigte alleine die Untersuchungjedes einzelnen Patienten viele Stunden,
Stunden, die ich nicht für meine Kinder hatte, begleitet von dem Zweifel, dass die
Aufgabe zu groß, die Krankheiten zu komplex und die Patientensamples immer zu
klein sein würden. Dazu kam der Klinikalltag, die Nachtdienste, der Aufbau der
neuen Abteilung, die kleinen und großen Bedürfnisse meiner Kinder.
Aber wir haben es geschafft! Der Weg war der richtige. Die identifizierten
Gene und Pathways ermöglichen bahnbrechend neue Herangehensweisen an psy-
chiatrische Erkrankungen. Die neuen Erkenntnisse und auch die damit einherge-
henden ethischen Fragestellungen faszinieren mich sehr.
Und ich bin glücklich, dass ich dies alles noch während meiner aktiven be-
ruflichen Laufbahn erleben darf. Ein erfolgreicher beruflicher Lebensweg, in dem
ich alles und mehr erreicht habe, als ich mir je hätte träumen lassen können. Eine
Abteilung mit aufgeschlossenen, kompetenten, kollegialen und zuverlässigen Mit-
arbeitern, weltweite Kooperationen und ständig neue interessante Fragestellungen
in dem forschungsintensiven Umfeld des Zis - und darüber hinaus ein überaus
glückliches Privatleben.
Und dennoch - ich hätte diesen Weg nicht eingeschlagen, wenn ich im Voraus
gewusst hätte, auf was ich mich einließ:
Ich wählte den Beruf, um in Gemeinschaft von Gleichgesinnten, kranken und
bedürftigen Menschen zu helfen. Statt dessen fand ich mich in einem unglaublich
hierarchischen und kompetitiven Umfeld mit Leistungsdruck und Streben nach
Ansehen, Macht, Impaktfaktoren und Drittmitteln wieder.
Ich beklage dies sicherlich nicht aus einer Position der Schwäche! Aber ich
leide darunter. Lange dachte ich tatsächlich es läge ausschließlich an meiner Person
bzw. meiner persönlichen sensitiven Sichtweise.
Aber der Austausch mit anderen Wissenschaftlern und meine Erfahrungen als
Mentorin zeigten mir, dass auch andere darunter leiden - insbesondere Frauen.
Es ist einer der robustesten Befunde in der psychiatrischen Epidemiologie,
dass Frauen weltweit signifikant häufiger an Depressionen erkranken als Männer.

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