Metadaten

Jaspers, Karl; Immel, Oliver [Hrsg.]; Schwabe AG [Hrsg.]; Fuchs, Thomas [Hrsg.]; Halfwassen, Jens [Hrsg.]; Schulz, Reinhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Akademie der Wissenschaften zu Göttingen [Hrsg.]
Karl Jaspers Gesamtausgabe (Abteilung 1, Band 21): Schriften zur Universitätsidee — Basel: Schwabe Verlag, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.51221#0084
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Idee der Universität [1923]

9

Ausgang und Vollendung des Geistes sind dunkel. Nennen wir die dunkle Fülle das
Mystische, so entspringt der Geist aus dem Mystischen und kehrt immer wieder zum
Mystischen zurück,7 aber nicht, weil er es suchte - denn er strebt immerfort zur gegen-
ständlichen Klarheit -, sondern weil er mit der jeweils gewonnenen Klarheit gleich-
sam wieder untertaucht und neue Kräfte gewinnt. Diese Kräfte, unbestimmt, nur
deutlich, soweit sie sich auswirken in Gedanken, Taten und Gestalten, sind die Ideen.
Ideen heißen sowohl die Kräfte, welche in der geistigen Persönlichkeit wirksam sind,
als auch die dunklen Zielvorstellungen, die alles Einzelne beherrschen, es an Ganzes
bindend. Der | Prozeß des Geistes ist durch die Ideen gleichsam eine Kreisbewegung 4
aus dem mystischen Dunkel in mystisches Dunkel, jedoch so, daß die gewonnene Klar-
heit Voraussetzung ist für das neue Dunkel, und so, daß das Dunkel nicht Zweck, son-
dern Mutterschoß neuer Bewegung zu neuer Klarheit ist. Die Kreisbewegung ist keine
in sich zurückkehrende, sondern gleichsam eine spiralig auf steigende. So wird es das
Merkmal des Geistes, daß er von Zeit zu Zeit Krisen erfährt, daß die Konsequenzen des
Denkens ihn in Verzweiflung, die scheinbar vollendete Ganzheit in Erstarrung bringt.
In solchen Krisen schmilzt gleichsam das objektiv Gewordene wieder ein, um eine Me-
tamorphose zu neuen Objektivierungen durchzumachen. Jedoch ist der Geist auch
hierbei nicht vergessend, er verwirft alles Gewonnene nur, um es zugleich zu behal-
ten, er relativiert nicht beliebig bald nach dieser, bald nach jener Richtung, sondern
aufsteigend vom Engeren zum Weiteren, vom Begrenzten zum mehr Ganzen. Dieser
Aufstieg geht eine Zeitlang jeweils innerhalb der gewonnenen objektiven Medien, aber
wenn die Bewegungen sich erschöpft haben, die Grenzen erreicht sind, so müssen
neue Ansätze entstehen, und diese entspringen aus neuem Untertauchen in dunkle
Mystik. Immerfort wird das treulos ungeistige Aufgeben und Vergessen mit dem gei-
stigen Überwinden verwechselt.
Geist ist eine Kraft, die zum Ganzwerden drängt. Für die Beziehung zwischen Men-
schen bedeutet dieses, daß der Geist immerfort und überall Kommunikation sucht. Wie
der Gedanke nicht isoliert bleiben, sondern in das Ganze der gedanklichen Beziehun-
gen eingehen will, so hebt der Geist jede Begrenzung, jede endgültige Fixierung, nach-
dem er sie erst geschaffen hat, alsbald auf. Der Geist existiert nicht im isolierten Men-
schen, der sich nur auf sich selbst stellt, existiert nicht in der Abgeschlossenheit einer
Gemeinschaft, eines Standes, einer Nation. Sondern der Geist, der immer diese Vor-
aussetzungen des Ganzen zuerst bejaht und in seiner Existenz zu eigen macht, durch-
bricht irgendwann jede Schranke (das Unechte des Überspringens, z.B. Weltbürger
ohne Wurzelhaftigkeit, philosophischer Denker ohne persönliche Substanz zu sein,
ist ungeistig). Der Geist will Kommunikation, um alles zu einem Ganzen werden zu
lassen. Ungeistig schloß sich der spätere Ägypter in seine Grenzen und Lebensformen,
geistig strebte der Grieche, sich mit allen Nationen irgend|wie in Verbindung zu set- 5
zen. Goethe sagte paradox, daß er das meiste anderen verdanke.8 Der Geist ist seinem
Wesen nach sozial, insofern er überall Wechselwirkung will, nicht aus der Welt her-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften