SCHRIFTEN DER JAHRE 1524-1528
170
Die xcviii. Wunderred.
Es ist aber zubesorgen, das diße gedycht von dem mittägigen teüffel g360
uffkummen, der sich understodt h, damit under der freyheit des geists
desto mer raum sey zu sünden, so nun die lieb ußgeloschen ist, dem
fleysch den zaum zu hengen i. 5
Q 2 a Schämpstu dich doch nit Treger, das du klagst, man predig nit ge-| nug
M. Butzer von fasten, wachen, betten und des fleyschs creützigung ? Meynstu, man
wissz dein streng fasten, wachen, betten und fleysch creützigen nit?
Wir . predigen, wie die schrifft innhaltet, das man on underloß das
fleysch creützigen soII 361. Daruß folget, das man vermeynt, ir seyen 10
nun zu lang uß der armen schweyssz in feygem leben gemöstet, ir solt
nun einmal im schweyssz ewers angesychts ewer brot nyessen 362. Und
darumb, das man stäts fasten, das ist in speiß und tranck den leib halten
soll, das er dem geist gehorsam sey, meynt man eüwer fasten, so ir uff
einmal essent, ein baur bey aller seiner halßarbeit 363 hette zweymal 15
dran genug, und das ir für stinckend eyer oder ein dürr stück fleysch gut
hecht und karpffen zecht, sey nur gleißnerey. Desgleichen ewer gebett,
so doch das selb nur umb gelt und on allen verstandt geschicht, sey
ein gottslesterung. Von eweren wachen leidet christlich scham nit,
vil teütlich zu sagen. Treger, von abthun falscher gleißnerey und 20
falschem vertrauwen wenden wir die leüt ab, aber allweg zu fasten,
wachen, betten, aller menschlichen satzung (davon Petrus sagt i. Petri
ii. [13 ff.]) zu gehorsamen, ermanen wir. Darumb wir bey dir und deinem
hauffen kleinen gunst verdyenen. Wir befinden aber das auch leyder wol,
das sich christlicher freyheit vil misszbrauchen, darumb könden wir 25
aber deins hauffens teüffelische lere nit bleiben lassen, noch die leer
Christi verschweigen. Christus und sein Apostolen habens auch nit
thon, noch zu thun gelernet.
Diß ist aber keins teüffels gedycht, gibt auch nitt raum zun sünden
under der freyheit des geists 364, leschet nitt uß die lieb, hengt auch nit 30
den zaum dem fleysch, sonder leret, dem fleysch absagen, den sünden
g) a demonio meridiano (Or.). - h) molitur (Or). - i) frena relaxare (Or).
360. Du Cange: »Glossarium mediae et infimae Latinitatis« 1883 ff., gibt eine Reihe
von Belegstellen, in denen der »daemon meridianus« erwähnt ist, und faßt das
Ergebnis der Zitate folgendermaßen zusammen: »Jncursum daemonii meridiani esse
subitam quamdam et apertam morbi violenti incursionem, qua quis sensuum men-
tisve facultate privatur, sic dictum, quod a daemone imprimi crederetur, tum quod
summo die proveniret« (III, S. 2).
361. Vgl. Gal 5,24.
362. Vgl. Gen 3,19.
363. Schwere Arbeit.
364. Vgl. Gal 5,13.
170
Die xcviii. Wunderred.
Es ist aber zubesorgen, das diße gedycht von dem mittägigen teüffel g360
uffkummen, der sich understodt h, damit under der freyheit des geists
desto mer raum sey zu sünden, so nun die lieb ußgeloschen ist, dem
fleysch den zaum zu hengen i. 5
Q 2 a Schämpstu dich doch nit Treger, das du klagst, man predig nit ge-| nug
M. Butzer von fasten, wachen, betten und des fleyschs creützigung ? Meynstu, man
wissz dein streng fasten, wachen, betten und fleysch creützigen nit?
Wir . predigen, wie die schrifft innhaltet, das man on underloß das
fleysch creützigen soII 361. Daruß folget, das man vermeynt, ir seyen 10
nun zu lang uß der armen schweyssz in feygem leben gemöstet, ir solt
nun einmal im schweyssz ewers angesychts ewer brot nyessen 362. Und
darumb, das man stäts fasten, das ist in speiß und tranck den leib halten
soll, das er dem geist gehorsam sey, meynt man eüwer fasten, so ir uff
einmal essent, ein baur bey aller seiner halßarbeit 363 hette zweymal 15
dran genug, und das ir für stinckend eyer oder ein dürr stück fleysch gut
hecht und karpffen zecht, sey nur gleißnerey. Desgleichen ewer gebett,
so doch das selb nur umb gelt und on allen verstandt geschicht, sey
ein gottslesterung. Von eweren wachen leidet christlich scham nit,
vil teütlich zu sagen. Treger, von abthun falscher gleißnerey und 20
falschem vertrauwen wenden wir die leüt ab, aber allweg zu fasten,
wachen, betten, aller menschlichen satzung (davon Petrus sagt i. Petri
ii. [13 ff.]) zu gehorsamen, ermanen wir. Darumb wir bey dir und deinem
hauffen kleinen gunst verdyenen. Wir befinden aber das auch leyder wol,
das sich christlicher freyheit vil misszbrauchen, darumb könden wir 25
aber deins hauffens teüffelische lere nit bleiben lassen, noch die leer
Christi verschweigen. Christus und sein Apostolen habens auch nit
thon, noch zu thun gelernet.
Diß ist aber keins teüffels gedycht, gibt auch nitt raum zun sünden
under der freyheit des geists 364, leschet nitt uß die lieb, hengt auch nit 30
den zaum dem fleysch, sonder leret, dem fleysch absagen, den sünden
g) a demonio meridiano (Or.). - h) molitur (Or). - i) frena relaxare (Or).
360. Du Cange: »Glossarium mediae et infimae Latinitatis« 1883 ff., gibt eine Reihe
von Belegstellen, in denen der »daemon meridianus« erwähnt ist, und faßt das
Ergebnis der Zitate folgendermaßen zusammen: »Jncursum daemonii meridiani esse
subitam quamdam et apertam morbi violenti incursionem, qua quis sensuum men-
tisve facultate privatur, sic dictum, quod a daemone imprimi crederetur, tum quod
summo die proveniret« (III, S. 2).
361. Vgl. Gal 5,24.
362. Vgl. Gen 3,19.
363. Schwere Arbeit.
364. Vgl. Gal 5,13.