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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2001
DOI Kapitel:
Sitzung der Math.-nat. Klasse am 27. Januar 2001
DOI Artikel:
Richter, Achim: Billardspiel mit Mikrowellen, Experimente zum Quantenchaos
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0018
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27. Januar 2001

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gewissen Dichte von Resonanzen immer zu dem Dilemma, daß eng beieinander lie-
gende Resonanzen nicht mehr getrennt werden können. Für die statistischen Verfah-
ren zur Ermittlung spektraler Eigenschaften als Evidenz für quantenchaotisches Ver-
halten ist jedoch sowohl eine möglichst große Anzahl von Resonanzen, als auch ein
vollständiges Ensemble vonnöten.
Es ist also die Verteilung der Energieeigenwerte der Schrödingergleichung, und es
sind spezielle Eigenschaften der Eigenfunktionen (Wellenfunktionen), die quasi einen
experimentellen Test der oben genannten Bohigasschen Vermutung - wenn ein klassi-
sches System chaotisch ist, dann ist es auch das analoge quantenmechanische System -
zulassen. Sind die experimentellen Befunde in Einklang mit Vorhersagen nach der
Theorie der Zufallsmatrizen, die statistische Annahmen über die einem System
zugrunde hegenden physikalischen Gesetze macht, ganz im Gegensatz zur herkömm-
lichen statistischen Physik, in der bei genau bekannten Gesetzmäßigkeiten aus prakti-
schen Gründen Aussagen über Mittelwerte getroffen werden, dann ist dieser Beweis
erbracht. Genauer gesagt, im Rahmen dieser Theorie werden bestimmte Ensembles
von Zufallsmatrizen bei der Konstruktion des Hamiltonoperators des betrachteten
Systems verwendet, deren Eigenwerte ebenso verteilt sind wie die Energieniveaus im
Spektrum eines chaotischen Systems. So kann die Häufigkeit der Abstände benach-
barter Niveaus in Einheiten des mittleren Niveauabstands durch eine Wigner-Vertei-
lung beschrieben werden, die in sehr guter Näherung auch die entsprechende Vertei-
lung der Eigenwerte der Matrizen des sogenannten Gaußschen Orthogonalen Ensem-
bles (GOE) wiedergibt. Charakteristisch für die Verteilung der nächsten Nachbarn ist
beim GOE eine Niveau-Abstoßung, d.h. häufigster und mittlerer Abstand sind in
etwa gleich, während sehr kleine Abstände kaum auftreten. Ein derartiges Verhalten
wurde erstmals bei Resonanzzuständen in energetisch hoch angeregten Atomkernen
beobachtet, an einem System aus vielen Nukleonen, das aufgrund seiner Komplexität
eine statistische Beschreibung nahelegt. Es kann aber auch an Systemen mit sehr weni-
gen Freiheitsgraden und genau bekanntem Hamiltonoperator beobachtet werden, z. B.
bei Spektren zweidimensionaler Billards, wenn ihr klassisches Analogon chaotisch ist.
Somit können quantenmechanische Billards als einfaches Modellsystem für Atom-
kerne angesehen werden - so wie bereits Niels Bohr im Jahre 1936 die komplexe
Wechselwirkung der Nukleonen innerhalb eines Atomkerns klassisch durch wechsel-
seitige Stöße von Billardkugeln in einem flachen Trog, dem quantenmechanisch das
Kernpotential entspricht, in dem die Nukleonen gebunden sind, veranschaulicht hat.
Demgegenüber zeigen die Spektren von Quantensystemen, die ein klassisches
Gegenstück mit vollständig integrablen Bewegungsgleichungen besitzen, Poissonsche
Statistik der Eigenwerte, wobei die einzelnen Niveaus nicht korreliert sind und dem-
entsprechend keine Abstoßung auftritt. Die Experimente mit dem supraleitenden Sta-
dionbillard zeigen aber eindrucksvoll, daß die Abstandsverteilung nächster Nachbarn
von Resonanzen m guter Näherung einer Wigner-Verteilung genügt.
Es sei hier noch erwähnt, daß die experimentell untersuchten Mikrowellenbillards
zeitumkehrinvariante Systeme darstellen, die in der Theorie der Zufallsmatrizen durch
reelle symmetrische Matrizen beschrieben werden, die dem Gaußschen Orthogonalen
Ensemble angehören, während Systeme, in denen die Zeitumkehrinvarianz verletzt ist,
durch das Gaußsche Unitäre Ensemble (GUE) aus komplexen hermiteschen Matrizen
charakterisiert sind. Für das GUE ist die Abstoßung der Eigenwerte stärker als beim
GOE, so daß das Spektrum noch geordneter aussieht. Aber auch bei zeitumkehrinva-
 
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