Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2001
DOI chapter:
Gesamtsitzung am 10. Februar 2001
DOI article:
Honerkamp, Josef: Antrittsrede vom 10. Februar 2001
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0028
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
10. Februar 2001

39

als H3-Professor - so hießen damals noch die heutigen C3-Professoren - anfangen
konnte.
Die Zeit meiner zweiten Aktivität in Bonn währte nicht lange, schon ein Jahr spä-
ter erhielt ich aus Freiburg, nachdem ich dort nichtsahnend einen Vortrag an der
Fakultät für Physik gehalten hatte, einen Anruf, der einen Ruf auf eine dortige Pro-
fessur für Theoretische Physik ankündigte. Man fragte, ob ich bereit sei, nach Freiburg
zu kommen. Welche eine Frage? Ich war noch keine 33 Jahre, meine Frau hatte in Frei-
burg studiert und mir häufig von dieser Stadt und ihrer Umgebung vorgeschwärmt.
Am 1.4.1974 trat ich eine Stelle als ordentlicher Professor für Theoretische Physik an
der Universität Freiburg an.
Die erste Zeit in Freiburg, das Hineinwachsen in die Rolle eines Ordinarius, war
nicht ganz einfach. Zudem ereilte mich turnusgemäß bald die Pflicht, die Aufgaben
eines Dekans wahrzunehmen. Auch wurde mir bald klar, dass den Studenten ein
größerer Überblick über die Gebiete der Physik gegeben werden sollte, dass man nicht
nur Mitarbeiter für das eigene Forschungsgebiet heranziehen, sondern Physik in sei-
ner ganzen Breite vermitteln müsste. Das bedeutete, dass man einerseits auch einen
Einblick in die etwas aus der Mode gekommenen Fächer wie Hydrodynamik oder
Kontinuumsmechanik geben sollte, andererseits aber auch in neuere Gebiete wie
chaotische Phänomene oder irreversible Thermodynamik einzuführen hatte. So ver-
suchte ich im Rahmen von Spezialvorlesungen, wann immer es ging, die äußeren
Kreise abzuschreiten, und stieß dabei unter anderem auch auf die Rheologie, das Stu-
dium des Fließverhaltens komplexer Fluide wie Polymerlösungen, Lacke, Blut oder
Gletscher.
Im Rahmen der Beschäftigung mit diesem Gebiet begann ich mit Kollegen aus der
Polymerforschung an einer Initiative zur Gründung eines Zentrums für Rheologie zu
arbeiten, das nicht nur ein neues, anwendungsbezogenes Gebiet in Freiburg etablieren,
sondern auch durch ein dafür notwendiges neues Gebäude die Raumnot im naturwis-
senschaftlichen Campus lindern sollte. Im Verein mit Bestrebungen weiterer Kollegen
wurde daraus eine Initiative für die Gründung eines Zentrums für Materialforschung,
das in der Tat unter großen Mühen realisiert werden konnte, heute unter der Leitung
von Herrn Mülhaupt floriert, und vor einem Jahr als Freiburger Materialforschungs-
zentrum (FMF) sein lOjähriges Jubiläum feiern konnte.
Ich lernte bei der Beschäftigung mit der Rheologie auch eine neue Aufgabe der
Theoretischen Physik kennen. In meiner Forschung hatte ich bisher gelernt, Theorie
betreiben heißt das Entwerfen oder Analysieren eines Modells. Dabei ist ein Modell
z. B. ein Satz von mathematischen Gleichungen im Verein mit bestimmten Begriffen
und Annahmen. Form und Struktur der Gleichungen sind durch fundamentale Prin-
zipien oder Symmetrien bestimmt. Die Formulierung solcher Prinzipien, auf denen
sich eine erfolgreiche Theorie aufbauen lässt, gelingt nur wenigen wie Einstein, Planck
oder Heisenberg. Der normale theoretische Physiker will zwar insgeheim immer ein
,Einstein’ sein, versucht sich aber meistens an der Ausarbeitung solcher Theorien, ent-
wickelt und erforscht die mathematischen Methoden, die dafür notwendig sind, oder
sucht experimentell nachprüfbare Folgerungen abzuleiten, also Vorhersagen für die
Resultate bestimmter Experimente zu machen. Es ist ein weiter Weg von den Model-
len bis zu den Daten, und es gibt für Theoretiker genügend zu tun bei der Analyse der
Modelle und bei dem Studium der mathematischen Methoden, so dass man nicht ein-
mal unbedingt mit den experimentellen Daten vertraut werden muss.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften