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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2001
DOI Kapitel:
Gesamtsitzung am 10. Februar 2001
DOI Kapitel:
Sitzung der Math.-net. Klasse am 28. April 2001
DOI Artikel:
Honerkamp, Josef: Datengestützte Modellierung biologischer Systeme
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0038
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28. April 2001

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3.3. Modellselektion
Das dritte und schwierigste Problem ist wohl das Problem der Modellselektion. Sind
im Kontext des Problems verschiedene Modellstrukturen denkbar, so möchte man auf
der Basis der Daten entscheiden, welches Modell das angemessenere ist.
4. Beispiele für die Allgegenwärtigkeit dieser Modellstruktur für die Dateninterpretation.
Ich will diese Modellstruktur und die Verfolgung der Ziele an konkreten Beispielen
erläutern:
4.1. lonenkanäle
lonenkanäle sind Proteine in Zellmembranen, die verschiedene Konformationen ein-
nehmen können. Je nach Konformation besitzen sie eine bestimmte Leitfähigkeit, d.h.
eine bestimmte Durchlässigkeit für die Ionen. Der Übergang von einer Konformation
zu einer anderen ist zufälliger Natur, man charakterisiert ihn am besten durch soge-
nannte Raten, die die Wahrscheinlichkeit für einen Übergang pro Zeiteinheit angeben.
Verweildauern in den jeweiligen Konformationen sind dann auch als Realisierungen
von Zufallsvariablen anzusehen. Betrachten wir der Einfachheit halber zunächst einen
lonenkanal, der zu jeder Zeit nur in einer von zwei Konformationen sein kann, so
kann der Zustand X(t) eines lonenkanals durch eine zeitabhängige Zufallsvariable X(t)
charakterisiert werden. Diese kann nur zwei Werte annehmen, sagen wir 1 und 2, die
den beiden Konformationen entsprechen, und ihr Zeitverhalten kann durch einen sto-
chastischen Prozess, z.B. einen Markov-Prozess beschrieben werden. Die Systemglei-
chung ist hier also z.B. die Mastergleichung für den stochastischen Prozess.
Messen kann man aber nur den Strom, der durch den lonenkanal hindurchtritt, und
zwar mit der berühmten Patch-Clamp-Technik. Diese ist von Sakmann und Neher
entwickelt worden und sie haben dafür den Nobelpreis erhalten. Man misst also einen
Strom I(t), der von der Leitfähigkeit der Konformationen abhängig ist. Dabei ist aller-
dings das Stromsignal sehr verrauscht. Die Beobachtungsgleichung lautet dann:

i(t) = F(X(t)) + on(t)

System- und Beobachtungsgleichung nennt man Hidden-Markov-Modell (HMM).
Solche HMM’s sind der Prototyp sogenannter verborgener Prozesse und es gibt viele
Anwendungen, in denen ein HMM eine geeignete Modellstruktur darstellt, z. B. in der
Sprachanalyse oder in der Genom-Sequenzanalyse.
Man kann die Tatsache, dass es zwei Konfigurationen und dass es Übergänge zwi-
schen diesen gibt, in einem sogenannten ‘gating-scheme’ (Fig. la) darstellen. Dabei
steht C für einen geschlossenen Zustand, O für einen offenen Zustand des lonenka-
nals. Bei drei möglichen Konfigurationen sähe das ‘gating-scheme’ wie in Fig. 1b aus,
wobei es nun zwei verschiedene geschlossene Zustände geben möge. Zu jedem Modell
gehört also ein bestimmtes ‘gating-scheme’, das die Anzahl der Konfigurationen und
die möglichen Übergänge in der Systemgleichung spezifiziert.



c — o
c



Fig. la: Gating-scheme für ein
Zwei-Zustands-System

Fig. 1b: Gating-scheme für ein
Drei-Zustands-System
 
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