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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2001
DOI chapter:
Gesamtsitzung am 16. Juni 2001
DOI article:
Huisken, Gerhard: Antrittsrede vom 16. Juni 2001
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0073
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Sitzungen

So war es gut, daß ich als PostDoc an der Australian National University in Can-
berra sofort mit Problemen in einem anderen Gebiet, der Geometrie, in Berührung
kam und dort spannende Fragestellungen fand. Es stellte sich heraus, daß Differen-
tialgleichungen, ähnlich denen, die ich in meiner Dissertation behandelt hatte, gerade
die geeigneten Werkzeuge waren, geometrische Phänomene wie die Deformation von
Flächen und gekrümmten Räumen angemessen zu beschreiben.
Es war eine wunderbare Zeit: Aufregende Mathematik, eine im Wachsen begriffene
Familie, die Arbeitsatmosphäre geprägt von den Mathematikern Leon Simon und Neil
Trudinger, die auch dem jüngsten PostDoc das Gefühl vermittelten, auf gleicher
Augenhöhe akzeptiert zu sein. In dieser Zeit erlernte ich das enge Zusammenspiel von
Analysis und Geometrie, konnte während der Dissertation erlernte Techniken auf
neue geometrische Fragestellungen anwenden. Während eines einjährigen Intermez-
zos 1985 in Heidelberg erlaubte mir die hiesige Fakultät eine schnelle und unbürokra-
tische Habilitation über die Deformation von Flächen durch ihre Krümmung, bevor
mich das Fernweh wieder entführte, zunächst an die University of California in San
Diego und dann 1986 zurück nach Canberra auf eine Stelle als Lecturer.
In San Diego, bei Rick Schoen und Shing-Tung Yau, lernte ich von neuen faszinie-
renden mathematischen Entwicklungen im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheo-
rie, bei der ja zeitlich sich ändernde, gekrümmte Räume eine zentrale Rolle spielen. Da
war sie auf einmal wieder, die Jugenderinnerung an die Astrophysik und ihre
gekrümmten Lichtstrahlen. Es wurde auf einmal deutlich, daß ich über die Differen-
tialgleichungen der Analysis und die gekrümmten Objekte der Geometrie näher und
aus einem günstigeren Winkel an einige wichtige Fragen der Allgemeinen Relativitäts-
theorie herangekommen war, als dies z. B. mit einem Studium der Astrophysik mög-
lich gewesen wäre. Bewegliche, zweidimensionale Flächen, von Differentialgleichun-
gen getrieben, erwiesen sich als ideale mathematische Hilfsmittel, mit denen man
wie mit Netzen schwarze Löcher in einem gekrümmten dreidimensionalen Raum fin-
den kann, und sogar ihren Energieinhalt messen kann. Die Analysis, Differentialgeo-
metrie und Physik gehen in diesem Bereich eine erstaunliche Symbiose ein, und je
mehr ich darüber lerne, um so mehr staune ich über die wundersame Entsprechung
mathematischer Gesetze und physikalischer Modellbildung. Es war eine zusätzliche
unvorhergesehene positive Überraschung, als sich herausstellte, dass die Deformation
von Kurven und Flächen in einem von der Allgemeinen Relativitätstheorie weit ent-
fernten Gebiet, der Bildverarbeitung, zur Verbesserung der Bildqualität eingesetzt
werden konnte.
Nachdem ich in Australien die klassische Laufbahn des Lecturer, Senior Lecturer
und Reader durchlaufen hatte, habe ich mich 1992 losgerissen und bin von Canberra
nach Tübingen gegangen, trotz eines Rufes nach Adelaide und der langen und guten
Bindung an Australien. Neben schulischen Aspekten bei der Erziehung unserer Kin-
der hat hier auch das Gefühl eine Rolle gespielt, daß Mathematik und Naturwissen-
schaften als Teil der Kultur dort viel weniger in der Gesellschaft verankert sind als hier.
Leider hat mich diese Ahnung nicht getrogen, die Ausrichtung australischer Univer-
sitäten an kurzfristigen kommerziellen Zielen hat sich verstärkt und erkennt fast kei-
nen kulturellen Eigenwert wissenschaftlicher Untersuchungen mehr an. In Tübingen
habe ich im Rahmen einer klassischen Universität neue mathematische Gebiete ken-
nengelernt und enge Bindungen zur numerischen Mathematik und zur Physik auf-
bauen können, dafür war der SFB 382 mit seinen grenzübergreifenden Projekten zwi-
 
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