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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 13. Juli 2001
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Hölscher, Tonio: Würdige Könige und heldenhafte Söhne: die konzeptionellen Altersstufen der Herrscher und ihre Götter im Hellenismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0088
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13. Juli 2001

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Heeresdienst herangezogen, aber erst mit etwa 30 Jahren heirateten sie und gründeten
einen eigenen Hausstand, und ebenfalls erst mit 30 Jahren konnten sie politische Auf-
gaben übernehmen. Eine obere Grenze wurde im Alter von etwa 60 Jahren erreicht, ab
dem man keine politischen Ämter mehr übernahm und sich in der Familie auf das
Altenteil zurückzog. Damit entspricht das Alter von 30 Jahren einem wichtigen
Abschnitt in der symbolischen Altersstruktur: Kinder (paides) - junge Erwachsene
(neoi o.ä.) - ältere Erwachsene (andres) - Greise (gerontes). Die Stufe der jugendlichen
Erwachsenen trug in besonderem Maß die Hoffnungen für die Zukunft der Gemein-
schaft.
Die Konstellation von verantwortungsvollen „Vätern“ und heldenhaften „Söhnen“
prägte nicht nur die historische Gesellschaftsordnung, sondern war auch in den
Mythen präfiguriert. Der Feldherr Agamemnon und der Held Achilleus im Krieg
gegen Troia sind ein solches Paar. Und die berühmten Heroen wie Theseus, Perseus,
lason und Bellerophon gehören alle der Stufe der jungen Erwachsenen vor der Hoch-
zeit an: Nach dem Eintritt in das Alter der Erwachsenen bewähren sie sich in weiter
Ferne im Kampf gegen wilde Monster, entsprechend den jungen Kriegern der städti-
schen Gemeinschaft, und am Ende dieser Phase gewinnen sie eine Frau. Sie alle stehen
neben älteren Herrschern, denen sie verpflichtet sind, mit denen sie z.T. in Konflikt
geraten, und deren Nachfolge sie zumeist antreten.
Anthropologisch gesehen, war es diese Rolle, die Alexander zum Image des Herr-
schers machte. Sein ganzer Lebenslauf: die Erziehung durch Aristoteles in den Bergen
fern der Residenz, sein Kriegszug gegen das Perserreich, bis an das Ende der bekann-
ten Welt, wo er schließlich die Ehe mit der sogdischen Prinzessin Rhoxane schloß,
schließlich die Rückkehr und die endgültige Begründung seiner Königsherrschaft in
Babylon: Dies alles spielt sich nicht nur in den symbolischen Altersstufen der griechi-
schen Gesellschaft ab, sondern entspricht strukturell genau den Biographien mythi-
scher Helden.
Damit war allerdings ein Problem der politischen Ideologie entstanden, das einer
neuen Lösung bedurfte. Nach den Jahrhunderte alten Traditionen der griechischen
Gesellschaftsstruktur konnte die Rolle des politischen Vaters im ideologischen System
des Herrschertums kaum ersatzlos gestrichen werden. Alexander löste diese Frage auf
der Ebene der Religion: Neben den menschlichen Trägern der politischen Macht stan-
den in der Antike die Götter als konkret wirkende Mächte, die den Herrscher in ver-
schiedenen Rollen und Funktionen umgaben. Indem Alexander sich als Sohn des Göt-
tervaters Zeus ausgab, hatte er einen mächtigen Vater in sein politisches System einbe-
zogen.
Die Werke der hellenistischen Bildkunst zeigen deutlich, daß damals ein komplexes
ikonographisches System von Gottheiten geschaffen wurde, die als Mächte der Herr-
schaft aufgefaßt wurden und die Herrscher ideell umgaben. In Haartracht und Habi-
tus entsprechen sie dem Ideal Alexanders und heben dessen Leitbild dynamischer
Energie auf eine mythisch-göttliche Ebene. Auch hier sind es „Väter“, wie Zeus und
Poseidon, und „Söhne“, wie Helios und Achilleus, die in dieser Konstellation herr-
scherliche Autorität und heldenhafte Strahlkraft miteinander vereinigen.
Das System von komplementären Leitbildern hat über die griechische Zeit hinaus
fortgewirkt. Augustus begründete sein römisches Herrschertum mit neuen römischen
Leitbildern, hielt aber an der Verbindung von „Vater“ und „Sohn“ fest. Er selbst stili-
sierte seine Rolle und seine Erscheinung zu einer alterslosen Heldenhaftigkeit, die
 
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