Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2001
DOI chapter:
Gesamtsitzung am 14. Juli 2001
DOI article:
Kirchhof, Paul: Antrittsrede vom 14. Juli 2001
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0091
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
102

Sitzungen

Mein Studium in Freiburg und München und die nachfolgende Promotion in Mün-
chen verliefen dann gänzlich in den friedlichen Bahnen akademischer Freiheit. Als ich
mich aber Ende 1969 an der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg um eine
Assistentenstelle bewarb, legte mir der damalige Seminardirektor nachdrücklich nahe,
diese Bewerbung nochmals zu bedenken, weil das Recht derzeit an der Universität
Heidelberg keine Chance habe. Unbeirrt von diesen Einwänden - wir haben die 68er
und die Folgejahre viel unbekümmerter erlebt, als sie uns jetzt in Rückschau und Ehe-
maligentreffen dargestellt werden - habe ich dann 1970 den Weg in die Universität
gewählt, der mir kaum Wagnis, wohl aber Chance zu sein schien. 1974 habe ich mich
mit einer Arbeit über die Handlungsmittel des Staates habilitiert, der nicht nur durch
verbindliches Regeln - Gesetz und Verwaltungsakt - wirkt, sondern zunehmend seine
Finanzkraft, seine Organisationsgewalt und sein Wissen als Instrument der Macht ein-
setzt. Ich habe untersucht, inwieweit an die Stelle der Anordnung der Anreiz treten
darf, an die Stelle der Rechtsverbindlichkeit ein bloßes Werben für das Recht, an die
Stelle der Strafe der Steuernachteil, an die Stelle des Vollzugsorgans der private Ver-
waltungsmittler, an die Stelle der Vollstreckung die Verständigung.
1975 habe ich einen Ruf nach Münster angenommen und bin dort ordentlicher Pro-
fessor für Staatsrecht und Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht gewor-
den. Ich habe in diesem Amt verschiedene Schriften zu System und Verfassungs-
mäßigkeit des Steuerrechts publiziert, einen steuerjuristischen Studiengang neu aufge-
baut und - zusammen mit Hartmut Söhn - einen inzwischen auf 16 Bände angewach-
senen Großkommentar zum Einkommensteuerrecht begründet. Daneben war ich
Prorektor der Universität Münster und Richter im Nebenamt am Oberwaltungsge-
richt Nordrhein-Westfalen.
Nach 6V2 schönen Jahren in Münster kehrten wir im Jahr 1981 nach Heidelberg
zurück und erlebten nunmehr eine Universität, die programmatisch erklärt, „junge
Talente“ fördern (und ein 38-Jähriger war noch ein junger Professor), die Mitglieder
der Universität in ihrer akademischen Zusammengehörigkeit bewusst festigen, die
Europa- und Weltoffenheit der Jurisprudenz besonders pflegen zu wollen. Den Höhe-
punkt erreicht diese Universität in einer glanzvollen 600-Jahresfeier, die mit dem
Namen unseres heutigen Präsidenten als damaligem Rektor und Frau zu Putlitz ver-
bunden ist.
1987 erreichte mich die Aufgabe, als Mitglied des Zweiten Senats des Bundesverfas-
sungsgerichts an der Verfassungsrechtsprechung mitzuwirken. Ich trat in das Gericht
mit der Hoffnung ein, dass einige Grundsatzfragen während meiner Amtszeit anhän-
gig werden mögen. Als dann durch eine immer dichter werdende europäische Integra-
tion, durch das Glück der Wiedervereinigung Deutschlands und die neuen technisch-
wissenschaftlichen Anfragen an das Verfassungsrecht kaum eine große staatspolitische
Frage ohne den Weg über Karlsruhe entschieden worden ist, wandelte sich die gestal-
tungsfreudige Hoffnung in den kompetenzbewussten Seufzer, die gestaltende Gewalt
habe ihren Sitz im Parlament und nicht im Gericht.
Ich war Berichterstatter für Europa- und Völkerrecht, Finanz- und Steuerrecht. In
dieser Zuständigkeit habe ich die Urteile über die Zustimmung Deutschlands zum
Maastricht-Vertrag, über den Einsatz der Bundeswehr in Somalia und Jugoslawien
nach den Zwei-plus-Vier-Verträgen, über den Euro, über menschlich besonders bewe-
gende Fragen des Haager Abkommens über die Kindesentführung und das Ausliefe-
rungsrecht formuliert. Im Steuerrecht war ich berichterstattend verantwortlich für die
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften