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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Kresten, Otto: Herbert Hunger (9.12.1914 - 9.7.2000)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0133
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allem Johannes Mewaldt einen tiefen Eindruck auf Herbert Hunger; unter Mewaldts
Anleitung verfaßte Hunger auch seine Dissertation zu dem „Realismus in den Tragö-
dien des Euripides“, mit der er am 23. Juni 1936 zum Dr. phil. promovierte, nachdem
er nicht nur die Rigorosen, sondern auch alle anderen vorhergehenden Prüfungen
unter den für eine Promotion sub auspiciis erforderlichen Voraussetzungen absolviert
hatte. Der Promotion folgte noch im Dezember 1936 die mit Auszeichnung bestande-
ne Eehramtsprüfung für Latein und Griechisch, und im Jänner 1937 konnte Hunger
eine Stelle als Probelehrer am Akademischen Gymnasium in Wien I. antreten.
Schon zu diesem Zeitpunkte trug sich Hunger mit dem Gedanken, eine wissen-
schaftliche Karriere auf dem Gebiet der Klassischen Philologie anzustreben, zunächst
in Form einer Habilitation, wie seine ersten Publikationen (zur realistischen Charak-
terdarstellung in den Spätwerken des Euripides [1936] und zur Krise des athenischen
Staates im Geschichtswerk des Thukydides [1939]) bezeugen. Freilich ließen die Zeit-
läufte eine Verwirklichung dieser Absichten fürs erste nicht zu: Im Herbst 1937 zur
Ableistung des Präsenzdienstes (als Einjährig-Freiwilliger) beim Österreichischen
Bundesheer eingezogen, wurde er nach dem deutschen Einmarsch in Österreich im
März 1938 mit seiner gesamten Einheit in die Deutsche Wehrmacht übernommen.
Über eigenes Gesuch vom Wehrdienst freigestellt, konnte Hunger ab Oktober 1938
noch einmal für acht Monate einem „zivilen“ Beruf, als Aushilfslehrer am Realgym-
nasium in Wien XIV, nachgehen, ehe ihn im Juli 1939 die Einberufung zu einer sechs-
wöchigen Waffenübung erreichte, die nahtlos in sechs Jahre Kriegsdienst und in zwei-
einhalb Jahre russischer Gefangenschaft übergehen sollte. Über diese Zeit äußerte sich
Hunger, auch im engsten Kreise, so gut wie nie - einmal ein flüchtiger, fast schon ver-
legener Hinweis auf die gegen Kriegsende erlittene Handverletzung, die ihm bisweilen
das Schreiben erschwerte (wer von den Menschen, die näheren Umgang mit ihm hat-
ten, kennt nicht die dadurch bedingte charakteristische Handhaltung, in der er seine so
persönlich ausgeformte Unterschrift setzte?), dann wieder das Aufflackern der Erin-
nerung an die erste Wiederbegegnung mit einem griechischen Text in den bitteren
Monaten der russischen Gefangenschaft, als ihm ein abgerissenes, als Packpapier ver-
wendetes Blatt einer gedruckten Ausgabe eines griechischen liturgischen Buches, eines
Triodion, in die Hände kam und in ihm schmerzvoll die Erinnerung an das fast schon
aus den Augen verlorene „Land der Griechen“ wachrief.
So schwer diese Kriegsjahre im Leben Herbert Hungers auch waren - in sie fällt
doch ein mildes, warmes, menschliches Licht: Im Jahre 1940 lernte er in Dresden Ruth
Friedrich, seine spätere Frau, kennen, die ihm zeit seines Lebens als vertraute Gefähr-
tin und als geduldige, selbstlose Hilfe zur Seite stand: Die Heirat erfolgte im Oktober
1941 in Wien, und die beiden ersten Kinder aus dieser Verbindung, Hermann und Die-
trich, erblickten 1942 bzw. 1944 das Licht der Welt (die Tochter Dorothea folgte 1949,
als die lange Jahre getrennte Familie wieder glücklich in Wien vereint war). Mit gutem
Grund gelten Ruth die abschließenden Sätze des Vorworts zu Hungers großem Werk,
der zweibändigen „Hochsprachlichen profanen Literatur der Byzantiner“ (1978) - der
Dank dafür, daß sie in so langen Jahren auf die „geistige Präsenz“ ihres Ehemannes
verzichten mußte, während dieser seine Arbeit an dem Handbuch vorantrieb.
Es mögen diese „verlorenen“ Jahre 1939-1947 im Leben des Wissenschaftlers Her-
bert Hunger gewesen sein, die einen ganz besonderen Zug seiner Persönlichkeit in
charakteristischer Weise ausformten: seine Beharrlichkeit, ein einmal erkanntes und
festgesetztes Ziel auf möglichst kurzem und direktem Weg anzustreben, in einem aus-
 
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