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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Nachrufe
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Kresten, Otto: Herbert Hunger (9.12.1914 - 9.7.2000)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0141
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Nachrufe

traute Gebiet der „klassischen“ Sprachen und der Byzantinistik und knüpfte an die
germanistischen Anfänge seiner frühen Studentenzeit an: „Das Denken am Leitseil der
Sprache. Johann Nestroys geniale wie auch banale Verfremdungen durch Neologis-
men“ (1999): An Nestroys Sprache hatte Hunger immer wieder Interesse gefunden
(manche Verse aus „Judith und Holofernes“ sollen zu den „geflügelten Worten“ inner-
halb seines Familienkreises gehört haben ...), und auf verschiedene, an Nestroy gemah-
nende Assoziationen in Hungers Schaffen (von den „Fettaugen“ bis zum „Fleischerl“)
konnte bereits verwiesen werden. Auch im vertrauten persönlichen Gespräch verwen-
dete Herbert Hunger bisweilen, mit dem Anflug eines leichten ironischen Untertons,
Wortspiele, die an Nestroy erinnerten (das waren dann jene seltenen Momente, in
denen in seiner Sprache auch die Farbnote des „Wienerischen“ durchschlug).
Nicht vergönnt war es Hunger, sein letztes großes Vorhaben, seine stilistischen
Untersuchungen zu den Kontakia des Rhomanos Melodos, abzuschließen. Mehrere
wichtige Vorarbeiten in Aufsatzform konnte er noch herausbringen, dann erlahmten
seine Kräfte allmählich: Es gehört zu den menschlich berührendsten Erinnerungen des
Schreibers dieser Zeilen, wenn er an einen der letzten Besuche bei seinem alten Lehrer
denkt, der aus einer Schreibtischlade Teile seiner umfangreichen und weit gediehenen
Aufzeichnungen zu Rhomanos herauszog, darin blätterte, seine weitgehend stenogra-
phierten oder noch in Kurrentschrift gehaltenen Notizen zu entziffern versuchte,
plötzlich in der gewohnten Gedankenschärfe eine treffende Beobachtung formulierte
- und dann die Mappen und die Blätter ermüdet, wie in stiller Resignation, zurück-
legte, vielleicht schon in der Ahnung, daß ihm ein Höherer, vor dem er sich stets in
gläubiger Demut gebeugt hatte, die Feder noch vor der Vollendung dieses Werkes aus
der Hand nehmen werde. Und noch eine Erinnerung steigt in dem Schreiber auf, wenn
er sich seine letzten Begegnungen mit Herbert Hunger ins Gedächtnis ruft - die Erin-
nerung an die warme Dankbarkeit, die dabei von einem Menschen zum anderen
strömte: in dem Jüngeren das Wissen um all das, was er seinem Lehrer, seinem Vorbild
und seinem väterlichen Freund verdankte, in Herbert Hunger die Freude darüber, daß
ihn seine Schüler nicht vergessen hatten, ihn nicht zum „alten Eisen“ zählten, ihn wei-
terhin besuchten.
Zu einem akademischen Nachruf gehörte im Grunde noch vieles anderes mehr
(Herbert Hungers für Rhetorik geschultes Ohr würde hier mit Recht sofort den
Anlauf zu einer Aposiopese oder, noch schlimmer, zu einer Praeteritio heraushören),
etwa der Verweis auf die fünf Ehrendoktorate Hungers, auf seine Mitgliedschaften bei
neunzehn auswärtigen Akademien der Wissenschaften oder gleichwertigen gelehrten
Gesellschaften, auf seine zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen
und Orden - doch in den Händen des Schreibers dieser Zeilen liegt das letzte Curri-
culum, das Hunger knapp vor seinem achtzigsten Geburtstage für die Österreichische
Akademie der Wissenschaften verfaßt hat, und dieses Curriculum endet mit dem Satz:
Haec omnia meras vanitates fuisse nunc demum mihi persuasi.
Herbert Hunger wird es wohl verzeihen, wenn ihm hier doch nicht das letzte Wort
überlassen sei: Das, was er in seinem Leben, als Mensch und als Wissenschaftler, gelei-
stet, vollbracht hat, ist weitaus mehr als eine mera vanitas. Auch wenn man die von
Hunger angesprochene paTat6TT]g im Sinne des Ekklesiastes fortsetzen könnte: yeveä
Jiopeverai xai yeveä EQ/erat (das gedanklich verwandte in generationem et genera-
tionem war das Motto der von Hunger mitherausgegebenen und mitverfaßten
Geschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu ihrem einhundert-
 
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