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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Jüngel, Eberhard: Gerhard Ebeling (6.7.1912 - 30.9.2001)
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bereitet haben. Zugleich wurde Marburg der Ort der ersten theologischen Liebe Ebe-
lings, die dann bis zuletzt seinen wissenschaftlichen Eros bestimmte: Martin Luther.
1932 lockte ihn Emil Brunner nach Zürich, von wo er jedoch wegen der sich zuspit-
zenden Auseinandersetzungen in Deutschland schon bald nach Berlin zurückkehrte.
Seine Examina legte Ebeling nicht bei der gleichgeschalteten Kirchenleitung, sondern
bei dem oppositionellen „Bruderrat der Bekenntnissynode“ ab. Er wurde ein „Illega-
ler“.
Im Oktober 1934 kam der Vikar in das von Dietrich Bonhoeffer geleitete Finken-
wälder Predigerseminar der Bekennenden Kirche. Bonhoeffer erkannte schnell die
hohe wissenschaftliche Begabung und setzte sich für die Fertigstellung der Dissertati-
on über „Evangelische Evangelienauslegung“ ein, mit der Ebeling dann in Zürich pro-
moviert wurde. Diese „Untersuchung zu Luthers Hermeneutik“ stellte nicht nur die
Luther-Forschung auf neue Füße, sie stellte auch die Weichen der theologischen Bio-
graphie Gerhard Ebelings. Von nun an bildete die Erforschung der Theologie Luthers
den roten Faden eines ungewöhnlich reichen Gelehrtenlebens, das sich nach dem
Kriegsende zwischen Tübingen und Zürich hin und her bewegte - immer begleitet von
der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, die die jeweils berufende Regierung allemal
mit einkaufen mußte. Gegen Ende seiner akademischen Tätigkeit war Ebeling Präsi-
dent der Kommission dieser Luther-Ausgabe, deren Texte er selber mit einer Intensität
befragte, die ihresgleichen sucht.
Dabei stand ganz selbstverständlich die strenge historische und editorische Arbeit
an erster Stelle. Doch so wie für Ebeling die Kirchengeschichte den systematischen
Anspruch erhebt und erheben soll, die Geschichte der Auslegung der heiligen Schrift
zu sein, so erhebt seine historische Erforschung der Theologie Luthers den systemati-
schen Anspruch, der gegenwärtigen Verantwortung des Wahrheitsanspruches bibli-
scher Texte zu dienen. Dabei hat insbesondere der Lebensbezug der Theologie Luthers
und deren Sensibilität für die das Leben durchwaltenden Gegensätze die Struktur sei-
nes Denkens geprägt. Daß theologisches Denken auf der ganzen Linie unterscheiden-
des Denken zu sein hat, daß insbesondere zu unterscheiden ist zwischen dem, was der
Mensch nur dankbar empfangen kann, und dem, was er sich und anderen abzuverlan-
gen verpflichtet ist, wußte Ebeling mit meisterlicher Klarheit nicht nur seinen
Schülern, sondern auch seiner Kirche einzuschärfen. Nur solches zwischen Evangeli-
um und Gesetz unterscheidendes Denken kann nach seiner Überzeugung die Chri-
stenheit vor denjenigen Gefahren bewahren, die er schon in der Reformationszeit dia-
gnostizierte und die er zu seinem Entsetzen in der Gegenwart geradezu übermächtig
werden sah: nämlich das Abdriften in einen antiquarischen „Fundamentalismus“
einerseits und in einen allzu zeitkonformen „Politprotestantismus“ andererseits. Der
Bonhoeffer-Schüler distanzierte sich deshalb von der sich auf Bonhoeffer - zu Recht?
- berufenden political correctness. Aber auch „Karl Barths Ringen mit Luther“ wurde
von ihm mit dem Verdacht bedacht, daß die reformatorische Kunst rechten Unter-
scheidens in Basel nicht hinreichend geübt worden sei. Das Verhältnis der beiden
Theologen war intrikat. Es hätte glücklicher ausgehen können.
Ebelings Konzentration auf die in ihrer überraschenden Frische zur Sprache
gebrachte Lehre des Reformators hängt mit dessen Hochschätzung des Wortes zusam-
men, das den Menschen sozusagen im selben Atemzug auf sich selbst und auf Gott
anspricht und dem allein der diesem Wort vertrauende Glaube entspricht. Wie Barth
und Bultmann verstand Ebeling Theologie als Wissenschaft vom Worte Gottes, wobei
 
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