Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

DOI chapter:
I. Das Geschäftsjahr 2001
DOI chapter:
Nachrufe
DOI article:
Dihle, Albrecht: Marcello Gigante (20.1.1923 - 22.11.2001)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0173
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
184

Nachrufe

Schon früh richtete Gigante seine Aufmerksamkeit auf die Geschichte der griechi-
schen Philosophie, insbesondere auf ihre hellenistisch-kaiserzeitliche Phase. Dieses
Gebiet stand in seiner letzten Schaffenszeit ganz im Vordergrund seiner Interessen,
und die Wissenschaft verdankt ihm eine lange Reihe wertvoller Veröffentlichungen auf
diesem Gebiet, darunter die Sammlung der Fragmente des Platonikers Polemon, eine
Untersuchung der Auseinandersetzungen zwischen Epikureern und Skeptikern, die
Vollendung und Ergänzung des von Hermann Usener hinterlassenen Glossarium Epi-
cureum, eine Anzahl von Studien zu Philodem oder die kommentierte Übersetzung
der Philosophenbiographien des Diogenes Laertios.
Mit diesen Interessen jedoch hängt aufs engste eine Aktivität zusammen, die wohl
als die verdienstvollste dieses bedeutenden Gelehrten bezeichnet werden darf, die Wie-
derbelebung der Studien an den schon im 18. Jahrhundert entdeckten, z.T. verkohlten
Papyri, die in der vom Vesuv verschütteten Stadt Herculaneum zutage traten. Sie ent-
halten überwiegend Reste der Werke des Epikureers Philodem aus dem 1. Jh. v. C., die,
soweit lesbar, im 19. und frühen 20. Jahrhundert kritisch ediert wurden. Mit Hilfe
moderner technischer Hilfsmittel können diese Papyri nunmehr besser konserviert,
lesbar gemacht und genauer entziffert werden, als Vorarbeiten für bessere Neuaus-
gaben und z.T. auch Erstausgaben der Texte. Gigantes Energie und administrativem
Geschick gelang die Gründung und Ausgestaltung eines „Centro Internazionale per lo
Studio dei Papiri Ercolanesi“ im Jahr 1969. Seither haben Papyrologen aus vielen Län-
dern, darunter auch jüngere Gelehrte, in diesem Institut an den Papyri gearbeitet und
ihr professionelles Können geschult. Regelmässig erscheinen nunmehr Textausgaben
in der Reihe „La Scuola di Epicuro“, die das Neapler „Istituto Italiano per gli Studi
Filosofici“ betreut. Begleitende Artikel werden in einer 1971 gleichfalls von Gigante
gegründeten Zeitschrift, den „Cronache Ercolanesi“, veröffentlicht, und Gigante
selbst schuf mit dem 1979 erschienen „Catalogo“, in dem alle 1826 bisher geborgenen
Papyrusrollen verzeichnet und beschrieben sind, ein unentbehrliches Instrument für
alle diese fortdauernden Arbeiten. Die von ihm angeregten und 1984 begonnenen Aus-
grabungen der Villa dei Papiri haben zwar reichlich Werke Bildender Kunst, aber
keine weiteren Papyri erbracht und wurden 1997 eingestellt. Über die Geschichte der
Herculanensischen Papyrusfunde, ihre Entdeckung, Konservierung und Bearbeitung
hat er 1987 in unserer Akademie ausführlich berichtet. Dass dann über die Hercula-
nensischen Studien hinaus Neapel zu einem international anerkannten Zentrum der
Erforschung der griechischen Philosophie wurde, darf man gleichfalls zum grossen
Teil seiner Aktivität zuschreiben.
Die Heidelberger Akademie wählte Marcello Gigante 1984 zum Korrespondieren-
den Mitglied. In den vielfältigen wissenschaftlichen Beziehungen, die er mit der
ganzen Welt unterhielt und die in zahlreichen Ehrungen, u.a. dem Ehrendoktor der
Universität Athen, ihren Ausdruck fanden, nahm Deutschland stets einen besonderen
Platz ein. Mit der Tradition der Altertumswissenschaften in unserem Land war er eng
vertraut. Sein Aufenthalt als Stipendiat in Bonn führte ihn mit Wolfgang Schmid
zusammen und weckte sein Interesse an der epikureischen Philosophie. Er sammelte
und edierte die Aufsätze des um die Herculanensia verdienten Gelehrten Wilhelm
Crönert, übersetzte Rudolf Pfeiffers „Geschichte der Klassischen Philologie“ ins Ita-
lienische und veröffentlichte Arbeiten zu der Wirkung, die Ulrich von Wilamowitz-
Moellendorff auf die Altertumswissenschaft in Italien ausübte, sowie über die Bedeu-
tung Friedrich Nietzsches für die Klassische Philologie. Unser allzu früh von uns
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften