15. Mai 2004
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HEINZ HÄFNER HÄLT DEN VORTRAG:
EIN UNZURECHNUNGSFÄHIGER (?) KÖNIG AN EINEM WENDEPUNKT
DEUTSCHER GESCHICHTE ■ LUDWIG H. VON BAYERN
Ludwig II., vom 10. 3. 1864 bis 13. 6. 1886 König von Bayern, ist eine ebenso faszi-
nierende wie tragische Gestalt, der eine Schlüsselrolle in der jüngeren deutschen
Geschichte zugefallen war.
Am 9.6. 1886 wurde er nach einem psychiatrischen Gutachten als unheilbar
geisteskrank und dauerhaft regierungsunfähig erklärt, entmündigt und am
12.6.1886 unter psychiatrischer Aufsicht im Schloß Berg zwangsinterniert. Am
Abend des folgenden Tages ertränkte sich Ludwig II. im Starnberger See, nachdem
er zuvor seinen Psychiater ertränkt hatte.
Sein tragisches Schicksal und die romantische Verklärung seines Lebens haben
die Phantasie von Biographen (u.a. Klaus Mann, Gabriele d’Annunzio, Annette Kolb
und Golo Mann), Film- und Punkopernmachern (Helmut Käutner, Luchino
Visconti und Georg Rmgsgwandl) und von unzähligen weniger bekannten Autoren
angeregt.
Kindheit und Jugend
Ludwig II. kam am 25. August 1845 als erster Sohn des bayerischen Königs Max II.
— der von sich sagte, wäre er nicht in einer Königswiege geboren, so wäre er am lieb-
sten Gelehrter geworden - und der Königin Marie, Prinzessin von Preußen, zur
Welt. Die Entbindung war schwer. Im Alter von sieben Monaten mußte der kleine
Prinz abgestillt werden, weil seine Amme an einer durch Sektion bestätigten akuten
Hirnhautentzündung erkrankt war und verstarb.
Er erkrankte selbst so ernst, daß mit seinem Tod gerechnet wurde. Er hatte
mehrere „Konvulsionen“ und genas langsam. Wahrscheinlich hat er sich bei seiner
Amme angesteckt und selbst eine eitrige Meningitis durchgemacht. Die bei der
Sektion des Königs festgestellte narbige, teils verkalkte Verdickung der Hirnhäute
über den vorderen Abschnitten des Gehirns und die Kopfschmerzen, unter denen
Ludwig II. lebenslang gelitten hat, sind wahrscheinlich eine Folge dieser Erkran-
kung.1
1 Die Druckwirkung der narbig verdichteten Dura (harte Hirnhaut) hatte an einzelnen, unmittel-
bar über Verdickungen liegenden Stellen des Schädelknochens zu einer Verdünnung der Schä-
delkalotte und an einzelnen direkt darunterliegenden Abschnitten von Hirnwindungen zu einer
geringfügigen Verschmälerung geführt, ohne daß eine Erweiterung der Vorderhörner der Hirn-
kammern (Ventrikel) feststellbar war. Dieser Befund läßt sich nicht mit hinreichender Wahr-
scheinlichkeit als „fortschreitender Schwund des Gehirns und Zerstörung aller psychischen
Funktionen“ deuten, wie der damalige Pathologe Dr. Kerschensteiner vor dem Untersuchungs-
ausschuß noch angenommen hatte (3). Einen Zusammenhang mit der primären Verrücktheit, die
von den psychiatrischen Gutachtern diagnostiziert worden war, hatte er aus berechtigten Grün-
den abgelehnt. Wie sich zeigen wird, fehlen ausreichende Hinweise auf eine „Zerstörung aller
psychischen Funktionen“. Im frühen Alter von sieben Monaten verfügt das Gehirn noch über
eine beachtliche Plastizität, zumal wenn es lediglich einer (unveränderten) Druckwirkung mit
leichter Verschmälerung einzelner darunterliegender Abschnitte frontaler Hirnwindungen ohne
erkennbare Zerstörung ausgesetzt ist.
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HEINZ HÄFNER HÄLT DEN VORTRAG:
EIN UNZURECHNUNGSFÄHIGER (?) KÖNIG AN EINEM WENDEPUNKT
DEUTSCHER GESCHICHTE ■ LUDWIG H. VON BAYERN
Ludwig II., vom 10. 3. 1864 bis 13. 6. 1886 König von Bayern, ist eine ebenso faszi-
nierende wie tragische Gestalt, der eine Schlüsselrolle in der jüngeren deutschen
Geschichte zugefallen war.
Am 9.6. 1886 wurde er nach einem psychiatrischen Gutachten als unheilbar
geisteskrank und dauerhaft regierungsunfähig erklärt, entmündigt und am
12.6.1886 unter psychiatrischer Aufsicht im Schloß Berg zwangsinterniert. Am
Abend des folgenden Tages ertränkte sich Ludwig II. im Starnberger See, nachdem
er zuvor seinen Psychiater ertränkt hatte.
Sein tragisches Schicksal und die romantische Verklärung seines Lebens haben
die Phantasie von Biographen (u.a. Klaus Mann, Gabriele d’Annunzio, Annette Kolb
und Golo Mann), Film- und Punkopernmachern (Helmut Käutner, Luchino
Visconti und Georg Rmgsgwandl) und von unzähligen weniger bekannten Autoren
angeregt.
Kindheit und Jugend
Ludwig II. kam am 25. August 1845 als erster Sohn des bayerischen Königs Max II.
— der von sich sagte, wäre er nicht in einer Königswiege geboren, so wäre er am lieb-
sten Gelehrter geworden - und der Königin Marie, Prinzessin von Preußen, zur
Welt. Die Entbindung war schwer. Im Alter von sieben Monaten mußte der kleine
Prinz abgestillt werden, weil seine Amme an einer durch Sektion bestätigten akuten
Hirnhautentzündung erkrankt war und verstarb.
Er erkrankte selbst so ernst, daß mit seinem Tod gerechnet wurde. Er hatte
mehrere „Konvulsionen“ und genas langsam. Wahrscheinlich hat er sich bei seiner
Amme angesteckt und selbst eine eitrige Meningitis durchgemacht. Die bei der
Sektion des Königs festgestellte narbige, teils verkalkte Verdickung der Hirnhäute
über den vorderen Abschnitten des Gehirns und die Kopfschmerzen, unter denen
Ludwig II. lebenslang gelitten hat, sind wahrscheinlich eine Folge dieser Erkran-
kung.1
1 Die Druckwirkung der narbig verdichteten Dura (harte Hirnhaut) hatte an einzelnen, unmittel-
bar über Verdickungen liegenden Stellen des Schädelknochens zu einer Verdünnung der Schä-
delkalotte und an einzelnen direkt darunterliegenden Abschnitten von Hirnwindungen zu einer
geringfügigen Verschmälerung geführt, ohne daß eine Erweiterung der Vorderhörner der Hirn-
kammern (Ventrikel) feststellbar war. Dieser Befund läßt sich nicht mit hinreichender Wahr-
scheinlichkeit als „fortschreitender Schwund des Gehirns und Zerstörung aller psychischen
Funktionen“ deuten, wie der damalige Pathologe Dr. Kerschensteiner vor dem Untersuchungs-
ausschuß noch angenommen hatte (3). Einen Zusammenhang mit der primären Verrücktheit, die
von den psychiatrischen Gutachtern diagnostiziert worden war, hatte er aus berechtigten Grün-
den abgelehnt. Wie sich zeigen wird, fehlen ausreichende Hinweise auf eine „Zerstörung aller
psychischen Funktionen“. Im frühen Alter von sieben Monaten verfügt das Gehirn noch über
eine beachtliche Plastizität, zumal wenn es lediglich einer (unveränderten) Druckwirkung mit
leichter Verschmälerung einzelner darunterliegender Abschnitte frontaler Hirnwindungen ohne
erkennbare Zerstörung ausgesetzt ist.