134 | ANTRITTSREDEN
und meiner nunmehr studierenden Tochter zu lesen war. Das Elternhaus und die
Bekannten meines Vaters—.auch die früheren Kriegskameraden - scheuten Diskus-
sionen um Nationalsozialismus, Kriegsverbrechen, Massenmorde und die eigene -
meist eher auf Überlebenbbedachte - Rolle ebenso wenig wie die Lehrer meines
Gymnasiums und die Pfarrerschaft der Stuttgarter evangelischen Kirchengemeinde;
em Tabu war die jüngereCGeschichte keinesfalls, und so hat sich in späteren Jahren
mein Kenntnisstand zwar verbessert und erweitert, aber im Grundsätzlichen nicht
oder wenig verändert! Ehe Arbeit in der Schule war streng organisiert und diszipli-
niert, aber heftige Diskussionen mit sehr freiem Wort in Geschichte, Deutsch oder
Religion waren nicht nur toleriert, sondern erwünscht - Duckmäusern musste und
sollte man nicht, die >öft beschworene obrigkeitliche Prägung habe ich so nicht
erlebt. Meine Freunde- stammten teilweise durchaus auch aus sozial schwächeren
Elternhäusern - Vertriebenenfamilien, die in eher niedrigen Dienstleistungsberufen
ihr Geld verdienten oder Kriegerwitwen mit mehreren Kindern -, die aber die Stär-
ke bewiesen, sich nicht nur selbst hochzuarbeiten, sondern auch ihren Kindern eine
gute Schulausbildung.zu verschaffen. Im Gegensatz zu vielem, was später darüber zu
lesen war und nochhheute von Politikern unregelmäßiger Bildungskarriere mit
gewissem Sozialnarzissmus über diese Zeit behauptet wird, war dies möglich und
scheiterte nicht immenan sozialen Barrieren, falls der Wille zu ihrer Durchbrechung
vorhanden war. Jedenfalls verdanke ich wie vieler meiner Freunde der Bonner
Republik und den Gestaltern der Nachkriegsära eine sehr gute Schulausbildung
unabhängig vom elterlichen Geldbeutel, und so blicke ich auf diese Zeit weniger mit
kritischen Gedanken als mit Dankbarkeit zurück. Natürlich war in dieser Epoche
Internationalität kein tägliches Lebensgefühl der Mittel- und Unterschicht, sondern
eher die Realität einer schmalen akademischen oder wirtschaftlichen Oberschicht.
Internationalität war für viele allenfalls Bücherwissen, die täglichen Realitäten waren
eher provinziell geprägt. Diese Enge war aber weniger die Folge geistigen Muffs als
das Ergebnis politischer und wirtschaftlicher Nachkriegsrealitäten.
Nach der Reifeprüfung schwankte ich sehr lange zwischen Rechtswissen-
schaft, Geschichte und Theologie als Studienfach. Geschichte entsprach durchaus
einer familiären Neigung, mein einziger Bruder Wolfgang Stürner ist Mediävist an
der Universität Stuttgart und vor allem mit Arbeiten über Friedrich II. von Palermo,
den stupor mundi, hervorgetreten. Die Entscheidung für Rechtswissenschaft ent-
sprach einem Streben nach praktischer Umsetzbarkeit. Immerhin studierte ich
Geschichte über Jahre hinweg fleißig mit, ohne dann aber einen förmlichen
Abschluss zu erreichen,.der über Seminarscheine hinausgegangen wäre. Nach einem
sehr kurzen rechtswissenschaftlichen Studium von knapp vier Jahren in Tübingen
betreute Professor Fritz Baur, Tübingen, meine Dissertation zu einem Thema des
öffentlichen Sachenrechts. Die Promotion war ebenfalls sehr rasch beendet - ich war
gerade 24 Jahre alt, als sie fertig gestellt war —, wenngleich ihre wissenschaftliche
Qualität unter dem Streben, rasch zum Schluss zu kommen, etwas gelitten haben
mag, ohne dass sich dies in der Bewertung niedergeschlagen hätte. Tübingen war in
dieser Zeit eine ganz besonders blühende Fakultät mit einem Rang, den heute wohl
keine Rechtswissenschaftliche Fakultät Deutschlands so ohne weiteres für sich bean-
und meiner nunmehr studierenden Tochter zu lesen war. Das Elternhaus und die
Bekannten meines Vaters—.auch die früheren Kriegskameraden - scheuten Diskus-
sionen um Nationalsozialismus, Kriegsverbrechen, Massenmorde und die eigene -
meist eher auf Überlebenbbedachte - Rolle ebenso wenig wie die Lehrer meines
Gymnasiums und die Pfarrerschaft der Stuttgarter evangelischen Kirchengemeinde;
em Tabu war die jüngereCGeschichte keinesfalls, und so hat sich in späteren Jahren
mein Kenntnisstand zwar verbessert und erweitert, aber im Grundsätzlichen nicht
oder wenig verändert! Ehe Arbeit in der Schule war streng organisiert und diszipli-
niert, aber heftige Diskussionen mit sehr freiem Wort in Geschichte, Deutsch oder
Religion waren nicht nur toleriert, sondern erwünscht - Duckmäusern musste und
sollte man nicht, die >öft beschworene obrigkeitliche Prägung habe ich so nicht
erlebt. Meine Freunde- stammten teilweise durchaus auch aus sozial schwächeren
Elternhäusern - Vertriebenenfamilien, die in eher niedrigen Dienstleistungsberufen
ihr Geld verdienten oder Kriegerwitwen mit mehreren Kindern -, die aber die Stär-
ke bewiesen, sich nicht nur selbst hochzuarbeiten, sondern auch ihren Kindern eine
gute Schulausbildung.zu verschaffen. Im Gegensatz zu vielem, was später darüber zu
lesen war und nochhheute von Politikern unregelmäßiger Bildungskarriere mit
gewissem Sozialnarzissmus über diese Zeit behauptet wird, war dies möglich und
scheiterte nicht immenan sozialen Barrieren, falls der Wille zu ihrer Durchbrechung
vorhanden war. Jedenfalls verdanke ich wie vieler meiner Freunde der Bonner
Republik und den Gestaltern der Nachkriegsära eine sehr gute Schulausbildung
unabhängig vom elterlichen Geldbeutel, und so blicke ich auf diese Zeit weniger mit
kritischen Gedanken als mit Dankbarkeit zurück. Natürlich war in dieser Epoche
Internationalität kein tägliches Lebensgefühl der Mittel- und Unterschicht, sondern
eher die Realität einer schmalen akademischen oder wirtschaftlichen Oberschicht.
Internationalität war für viele allenfalls Bücherwissen, die täglichen Realitäten waren
eher provinziell geprägt. Diese Enge war aber weniger die Folge geistigen Muffs als
das Ergebnis politischer und wirtschaftlicher Nachkriegsrealitäten.
Nach der Reifeprüfung schwankte ich sehr lange zwischen Rechtswissen-
schaft, Geschichte und Theologie als Studienfach. Geschichte entsprach durchaus
einer familiären Neigung, mein einziger Bruder Wolfgang Stürner ist Mediävist an
der Universität Stuttgart und vor allem mit Arbeiten über Friedrich II. von Palermo,
den stupor mundi, hervorgetreten. Die Entscheidung für Rechtswissenschaft ent-
sprach einem Streben nach praktischer Umsetzbarkeit. Immerhin studierte ich
Geschichte über Jahre hinweg fleißig mit, ohne dann aber einen förmlichen
Abschluss zu erreichen,.der über Seminarscheine hinausgegangen wäre. Nach einem
sehr kurzen rechtswissenschaftlichen Studium von knapp vier Jahren in Tübingen
betreute Professor Fritz Baur, Tübingen, meine Dissertation zu einem Thema des
öffentlichen Sachenrechts. Die Promotion war ebenfalls sehr rasch beendet - ich war
gerade 24 Jahre alt, als sie fertig gestellt war —, wenngleich ihre wissenschaftliche
Qualität unter dem Streben, rasch zum Schluss zu kommen, etwas gelitten haben
mag, ohne dass sich dies in der Bewertung niedergeschlagen hätte. Tübingen war in
dieser Zeit eine ganz besonders blühende Fakultät mit einem Rang, den heute wohl
keine Rechtswissenschaftliche Fakultät Deutschlands so ohne weiteres für sich bean-