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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2004
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Antrittsreden
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Stürner, Rolf: Antrittsrede vom 10. Juli 2004
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0124
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136 | ANTRITTSREDEN

Wissenschaft muss den engen zeitlichen und nationalen Verständnishorizont spren-
gen. Dem Rechtswissenschaftler erlauben vor allem Grundlagenwissenschaften den
Blick hinter den Vorhang, vor dem der Harlekin des juristischen Alltags seine Sprün-
ge macht, also Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Wirtschaftswissenschaften,
Rechtsvergleichung. Auf drei recht unterschiedlichen Gebieten bin ich den
Verlockungen unbefriedigter Neugierde erlegen und dies mit sehr unterschiedlichen
Konsequenzen, nämlich auf dem Gebiet des Schutzes menschlichen Lebens mit sei-
ner heftig diskutierten rechtsethischen Grundlegung, auf dem Gebiet moderner
Finanzprodukte in internationalen Finanzmärkten und auf dem Gebiet prozessualer
Rechtsvergleichung und weltweiter Harmonisierung.
Die rechtsethischen Grundlagen des Schutzes menschlichen Lebens am Anfang
und Ende unseres Daseins hatten mich in mehreren Beiträgen zum Medizinhaf-
tungsrecht beschäftigt. So kam es, dass mich das Bundesverfassungsgericht im Jahre
1992 während des Verfahrens über die Verfassungsmäßigkeit der Fristenregelung um
em ausführliches Rechtsgutachten bat, mit welchen Auswirkungen einer strafrecht-
lichen Rechtsänderung im ärztlichen Haftungsrecht, Familienrecht, Sozialrecht,
Arbeitsrecht, ärztlichem Standesrecht und Krankenhausverwaltungsrecht zu rechnen
sei. Der rechtsethische Ausgangspunkt war dabei, dass em Schwangerschaftsabbruch
im Frühstadium zwar nicht staatlicher Strafdrohung unterliegen sollte, die Rechts-
ordnung insgesamt aber andererseits das Bewusstsein für die regelmäßige Uner-
wünschtheit eines Abbruchs erhalten müsse. Dieser Ansatz hat sich dann später in der
Entscheidung des Gerichts niedergeschlagen. Aber es war eindrucksvoll, wie schwer
es ist, in einer stark polarisierten öffentlichen Diskussion einen vermittelnden Stand-
punkt zu vertreten, ohne zwischen die Mühlsteine zu geraten. Viele — auch seriöse —
Medien zeigten sich ungeheuer aggressiv und unsachlich — eine wichtige Erfahrung,
die gut zu überleben war, weil viele Freunde, Kollegen und auch die Studentenschaft
eine erfreulich eigenständige Meinungsbildung auf sachlicher Basis vorzogen und
deshalb die berühmte Prangerwirkung ausblieb. Die Freiheit wissenschaftlicher Mei-
nungsbildung — das war die wichtigste persönliche Lehre aus dieser Auseinanderset-
zung — bleibt letztlich ungefährdet, wenn sie sich publizistischem Druck nicht zu
beugen bereit ist. Den damaligen Standpunkt kann ich bis heute selbst an US-ame-
rikanischen Universitäten in Diskussionen mit viel Zustimmung vertreten, ohne auf
die damals artikulierten Aggressionen zu prallen.
Viele moderne Finanzprodukte bestehen in Wertpapieren, deren Wertentwick-
lung an eine Referenzmasse angebunden ist, die verbrieft wird. So hängt der Wert
von Pfandbriefen vom Wert ihrer Deckung durch öffentliche Darlehen oder Hypo-
thekendarlehen ab, welche die Pfandbriefe emittierende Bank zur Sicherung der
Pfandbriefinhaber einbringt. Solche Finanzprodukte sind in heutiger Zeit grenz-
überschreitend gestaltet, in den Deckungsmassen vieler deutscher Banken finden sich
Forderungen aus englischen, französischen, amerikanischen oder japanischen Darle-
hen. Das Rating solcher Produkte hängt von der Qualität der Sicherheiten ab, die
sich in jeder Rechtsordnung unterschiedlich gestaltet und die durch rechtliche Kon-
struktionen gesteigert oder geschwächt werden kann. Aufgrund meines insolvenz-
rechtlichen und sachenrechtlichen Forschungsfeldes ergab sich die reizvolle Aufga-
 
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