II. Wissenschaftliche Vorträge
Feld gemäß der mathematischen Formel + x - = - aus, wohingegen im linken
Feld eine Schwächung der zuwider wirkenden Kräfte Stärkung bedeutet, und so-
mit ein negativ konnotiertes Merkmal in diesem Feld zum günstig gewerteten Zei-
chen wird.
In Wahrheit war freilich all dies noch viel komplizierter. Es wurden nicht nur
die Felder der Gallenblase ihrerseits in Felder unterteilt, die man wiederum be-
gutachtete, sondern die gesamte Leber wurde als ein Gefüge von positiv und ne-
gativ geladenen Parzellen beschrieben. In zu Ausbildungs- und Studienzwecken
angefertigten Lebermodellen, die mit einem ganzen Netz von Parzellen überzogen
sind, wurde dies dem Lernenden vor Augen geführt.
Wir können hier aus Zeitgründen nicht weitere Einzelheiten ausbreiten.
Aber so viel sei noch gesagt: Die gelehrten Leberschauer waren zu der festen
Überzeugung gelangt, die durch Eingeweideschau ermittelte Beurteilung eines
politischen oder militärischen Plans habe ein Verfallsdatum, welches man ge-
nau errechnen könne. Sie ermittelten das gewünschte Ergebnis, indem sie die
drei scharfen Seitenkanten des ,Finger4 genannten Auswuchses der Schafsleber,
also die Seiten des sog. processus pyramidalis, genau vermaßen, Art und Anzahl
der darauf befindlichen Markierungen feststellten und diese Variablen in eine
mathematische Formel einsetzten, deren Berechnung dann die Geltungsdauer
des Orakelentscheides ergab.
Die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Planes oder eines Vorhabens
ergab sich durch das einfache Addieren der ermittelten positiven und negativen
Zeichen. Überwogen die positiven Zeichen war das Vorhaben als „erwünscht“ be-
urteilt und zur Durchführung freigegeben. Waren die negativen Zeichen in der
Überzahl bedeutete dies, dass die Evaluation negativ ausgefallen war.
Auf diese Weise wurde an altorientalischen Königshöfen über Personalange-
legenheiten entschieden, über die Frage, ob man ein umfangreiches Bauvorhaben
durchführen solle und eben auch darüber, ob und wann man ohne Schaden gegen
einen Feind zu Felde ziehen könne. Ferner gehörte es etwa im altbabylonischen
Mari des 18. Jh. zur Routine, mit Hilfe der Leberschau monatliche Regelanfragen
nach der Sicherheit von König, Stadt und Land zu stellen, mit dem Ziel uner-
kannt gebliebene Gefahren rechtzeitig ausfindig machen und bannen zu können.
Die Ursache der potentiellen Gefährdung wurde dann ebenfalls mit Hilfe von
wiederholten Eingeweideschauen durch geschicktes, immer mehr in Einzelheiten
gehendes Fragen ermittelt.
Dem modernen Zeitgenossen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist
ein solches Prüfungsverfahren wohl vor allem deshalb ein Skandalon, weil es sich
mit Inhalt und Absicht des zu bewertenden Beschlusses nicht befasst und nicht
einmal den Anschein zu erwecken versucht, dieses zu tun. Gleichwohl müssen
wir konstatieren, dass über mehr als zwei Jahrtausende die Mesopotamier selbst,
ebenso wie die eifrig um entsprechende Kenntnisse bemühten Völkerschaften im
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Feld gemäß der mathematischen Formel + x - = - aus, wohingegen im linken
Feld eine Schwächung der zuwider wirkenden Kräfte Stärkung bedeutet, und so-
mit ein negativ konnotiertes Merkmal in diesem Feld zum günstig gewerteten Zei-
chen wird.
In Wahrheit war freilich all dies noch viel komplizierter. Es wurden nicht nur
die Felder der Gallenblase ihrerseits in Felder unterteilt, die man wiederum be-
gutachtete, sondern die gesamte Leber wurde als ein Gefüge von positiv und ne-
gativ geladenen Parzellen beschrieben. In zu Ausbildungs- und Studienzwecken
angefertigten Lebermodellen, die mit einem ganzen Netz von Parzellen überzogen
sind, wurde dies dem Lernenden vor Augen geführt.
Wir können hier aus Zeitgründen nicht weitere Einzelheiten ausbreiten.
Aber so viel sei noch gesagt: Die gelehrten Leberschauer waren zu der festen
Überzeugung gelangt, die durch Eingeweideschau ermittelte Beurteilung eines
politischen oder militärischen Plans habe ein Verfallsdatum, welches man ge-
nau errechnen könne. Sie ermittelten das gewünschte Ergebnis, indem sie die
drei scharfen Seitenkanten des ,Finger4 genannten Auswuchses der Schafsleber,
also die Seiten des sog. processus pyramidalis, genau vermaßen, Art und Anzahl
der darauf befindlichen Markierungen feststellten und diese Variablen in eine
mathematische Formel einsetzten, deren Berechnung dann die Geltungsdauer
des Orakelentscheides ergab.
Die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Planes oder eines Vorhabens
ergab sich durch das einfache Addieren der ermittelten positiven und negativen
Zeichen. Überwogen die positiven Zeichen war das Vorhaben als „erwünscht“ be-
urteilt und zur Durchführung freigegeben. Waren die negativen Zeichen in der
Überzahl bedeutete dies, dass die Evaluation negativ ausgefallen war.
Auf diese Weise wurde an altorientalischen Königshöfen über Personalange-
legenheiten entschieden, über die Frage, ob man ein umfangreiches Bauvorhaben
durchführen solle und eben auch darüber, ob und wann man ohne Schaden gegen
einen Feind zu Felde ziehen könne. Ferner gehörte es etwa im altbabylonischen
Mari des 18. Jh. zur Routine, mit Hilfe der Leberschau monatliche Regelanfragen
nach der Sicherheit von König, Stadt und Land zu stellen, mit dem Ziel uner-
kannt gebliebene Gefahren rechtzeitig ausfindig machen und bannen zu können.
Die Ursache der potentiellen Gefährdung wurde dann ebenfalls mit Hilfe von
wiederholten Eingeweideschauen durch geschicktes, immer mehr in Einzelheiten
gehendes Fragen ermittelt.
Dem modernen Zeitgenossen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist
ein solches Prüfungsverfahren wohl vor allem deshalb ein Skandalon, weil es sich
mit Inhalt und Absicht des zu bewertenden Beschlusses nicht befasst und nicht
einmal den Anschein zu erwecken versucht, dieses zu tun. Gleichwohl müssen
wir konstatieren, dass über mehr als zwei Jahrtausende die Mesopotamier selbst,
ebenso wie die eifrig um entsprechende Kenntnisse bemühten Völkerschaften im
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