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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
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II. Nachrufe
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Koch, Anton Friedrich: Wolfgang Wieland (29.6.1933 – 8.3.2015)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0337
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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

in einvernehmlich ungläubigem Entsetzen erstarrt, hätte man einen Blick in die
universitäre Zukunft, die heutige Gegenwart wissenschaftlicher Unfreiheit, tun
können.
Dass Wolfgang Wieland sich pünktlich nach der Vollendung seines 65. Le-
bensjahres 1998 emeritieren ließ und aus dem Universitätslebcn weitgehend zu-
rückzog, mutet insofern konsequent an, hatte aber Gründe auch in lokaleren und
vergänglicheren Konstellationen. Es ehrt ihn und darf uns zum Vorbild dienen,
dass er sich Unzumutbarem nicht länger als nötig aussetzen wollte. Er war ei-
ner der Großen seines Faches in seiner Zeit, groß nicht durch Netzwerken und
Selbstinszenierung, die wissenschaftlichen Schlüsselqualifikationen unserer Tage,
sondern durch seine substantiellen Beiträge zu einer philosophiehistorisch aufge-
klärten systematischen Philosophie bzw. einer systematisch anschlussfähigen Phi-
losophiegeschichtsschreibung.
In Heidenheim an der Brenz wurde er kurz nach Hitlers Machtergreifung
geboren und ging er zur Schule; kurz vor seinem 12. Geburtstag war Deutsch-
land befreit und besiegt. In Heidelberg, wie Heidenheim vom Krieg wenig be-
rührt, studierte er Philosophie und wurde er 1955, in seinem 22. Lebensjahr, bei
Gadamer promoviert. Die Dissertation erschien 1956 bei Winter unter dem Titel
„Schellings Lehre von der Zeit. Grundlagen und Voraussetzungen der Weltalter-
philosophie“. Neben Gadamer prägte ihn als akademischer Lehrer der in tiefer
Skepsis seelenverwandte Karl Löwith und aus der Ferne, mit seinen Studien zu
Platon, Aristoteles und der griechischen Logik, der große Altphilologe Ernst Kapp.
In Hamburg, wo er nach der Promotion eine Assistentenstelle bei Carl Friedrich
von Weizsäcker vertrat, empfand dieser sich bereits weniger als der Lehrer denn
„als der ältere Schüler des jüngeren Lehrers“ (so v. Weizsäcker in seinem Geburts-
tagsgruß in: Amicus Plato magis amica veristas. Festschrift für Wolfgang Wieland
zum 65. Geburtstag, hg. von Rainer Enskat, Berlin und New York 1998). Seine
Habilitationsschrift über die aristotelische Physik reichte Wieland, 25-jährig, wie-
der in Heidelberg ein. 1960 wurde er habilitiert; 1962 erschien die Arbeit in Göt-
tingen bei Vandenhoek und Ruprecht, 1992 in dritter Auflage: ein klassischer Text
der Aristoteles-Forschung. Noch im Jahr der Habilitation wurde er außerordent-
licher Professor für Philosophie in Hamburg, 1964 Ordinarius für Philosophie in
Marburg, 1968 in Göttingen, 1979 in Freiburgund 1983, im Jahr seiner Zuwahl in
die Akademie, zuletzt in Heidelberg.
In den Göttinger Jahren, nach abgeschlossenem Medizinstudium, schrieb er
ein grundlegendes Werk zu einer Disziplin, die „unter der Herrschaft eines tech-
nokratischen Bildungsideals“ zu unser aller Schaden zunehmend ins Abseits gera-
ten ist: zur Medizintheorie (Diagnose. Überlegungen zur Medizintheorie, Berlin
1975, 2. Auflage 2004). Ich erinnere mich der rühmenden Worte eines medizini-
schen Kollegen aus meinen Tübinger Jahren, der die Medizintheorie des fin de
millenaire fast ausschließlich in Wielands einschlägigem CEuvre verkörpert sah.

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