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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 5. Mai 2001
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Schmidt, Jochen: Metamorphosen der Antike in Goethes Werk
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0049
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Sitzungen

Die beiden bedeutendsten Zeugnisse für die Metamorphosen der Antike sind „Iphi-
genie“ und Faust II. Diese Werke bilden ein aufschlußreiches Gegenprofil, indem sie
die historische Differenz und zugleich eine wesentliche Wandlung in Goethes Umgang
mit der Antike erkennen lassen. In der „Iphigenie“, die auf dem Höhepunkt der phi-
losophischen und poetischen Aufklärung in Deutschland entstand, stellt er den Pro-
zeß der Moderne optimistisch als einen Aufklärungsprozeß dar, der von archaischer
Fremdbestimmung zu modern-humaner Selbstbestimmung führt. Ein halbes Jahrhun-
dert später, im Faust II, gerät der Modernisierungsprozeß und mit ihm der sich auto-
nom setzende Mensch der Moderne, den Faust repräsentiert, in eine pessimistische
Perspektive, da Fausts „fortschrittliche“ Aktivitäten überwiegend zerstörerisch wir-
ken. Die Antike bildet in der „Iphigenie“ nur die Stoffgrundlage in Gestalt der mytho-
logischen Fabel, und diese dient lediglich als Medium für das moderne Programm der
Aufklärung. Im Faust II macht Goethe die Antike selbst zum Gegenstand, und dies
nicht in antiquarischem Sinn, sondern in einer kulturgeschichtlichen Reflexion des
neuzeitlichen Rezeptions- und Vermittlungsprozesses. Erscheint in der „Iphigenie“
die Moderne im Medium der Antike, so im „Faust“ umgekehrt die Antike im Medi-
um der Moderne - als eine immer schon durch den neuzeitlichen Rezeptions- und Bil-
dungsprozeß vermittelte Antike. Goethe inszeniert sie nun in kulturpsychologischer
Diagnose als therapeutische Kompensation moderner Heillosigkeit, als Wunschvor-
stellung, die erst aus der geschichtlichen Situation der Moderne ihre Eigenart als
Gegenbild gewinnt. So werden aus der Retrospektive des Alters die Metamorphosen
der Antike selbst zum historisch reflektierten Gehalt des Werks. Indem Goethe nach
dem auf die Repräsentation „klassischer“ Kultur angelegten Helena-Akt das Gesche-
hen im vierten und fünften Akt des Faust II in die ganz andere Sphäre einer von instru-
menteller Vernunft gesteuerten Zivilisation einmünden läßt, diagnostiziert er das Ende
der aus der neuzeitlichen Rezeption der Antike entstandenen humanistisch-ästheti-
schen Kultur und die Überschreitung des ästhetischen Horizonts als geschichtliche
Logik der Moderne.

Die Klasse wählt Herrn Beat Wyss (Kunstgeschichte, Techn. Universität Stuttgart)
zum o. Mitglied.
Die Klasse bestellt turnusgemäß eine neue Zuwahl-Kommission für die Amtszeit des
neuen Sekretärs. Gewählt werden die Herren Kannicht, Kieser, Picker, J. Schmidt, Sellin.
Die folgenden Forschungsvorhaben werden aus gegebenem Anlass diskutiert:
Spanisches Wörterbuch: Die Klasse nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass das Vor-
haben planmäßig im Jahr 2010 abgeschlossen werden soll. Ein positiver Evaluations-
bericht liegt vor.
Luther-Register: Die Klasse stimmt dem Antrag, die Laufzeit des Vorhabens bis 2009
zu verlängern, zu. Ein positiver Evaluationsbericht liegt vor.
Deutsche Schriften Martin Bucers: Die Klasse stimmt dem Antrag, die Laufzeit des
Vorhabens bis 2018 zu verlängern, zu. Ein positiver Evaluationsbericht liegt vor.
Cusanus-Edition: Die Klasse stimmt dem Antrag, die Laufzeit des Vorhabens bis 2004
zu verlängern, zu. Ein positiver Evaluationsbericht liegt vor.
DEAF: Die Klasse wird darüber unterrichtet, dass die zuständige Kommission einen
Arbeitsplan beschlossen hat, der einen Abschluss des Vorhabens im Jahr 2025 vorsieht.
 
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