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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Jahresfeier in der Alten Aula der Universität am 19. Mai 2001
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Grußwort des Ministers für Wissenschaft, Forschung und Kunst Klaus von Trotha
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0054
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19. Mai 2001

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wie derzeit 90 Prozent aller Wissenschaftler, die je gelebt haben, noch nicht gestorben
sind.
In der Wissensgesellschaft, in der wir heute leben, sind wir abhängiger denn je von
der Lösung wissenschaftlicher Fragen. Dabei kann sich niemand mehr eine Haltung
erlauben wie seinerzeit die Academie Frangaise mit ihrer Weigerung, Meteoriten zur
Kenntnis zu nehmen. Ganz zu schweigen von den Zeiten, in denen angeblich die
Werke des visionären „Doctor Mirabilis“ Roger Bacon, an die Wand der Bibliothek
von Oxford genagelt, Wind und Wetter ausgesetzt wurden. Die Franziskaner warfen
Bacon, den Vorläufer des Empirismus, wegen des „Verdachts von Neuerungen“ sogar
kurzerhand ins Gefängnis. Aber das war im Jahre 1278.
Bei vielen der bis jetzt ungelösten drängenden Probleme dürften das notwendige
Tatsachenwissen bereits vorhanden, die richtigen Schlussfolgerungen aber noch nicht
gezogen sein. Auch Newtons Gravitationsgesetz stützte sich schließlich auf nichts,
was nicht schon die alten Griechen gewusst hätten. Die Schwierigkeit, neuartige
Schlussfolgerungen zu ziehen, dürfte nicht zuletzt auch damit Zusammenhängen, dass
wir so sehr auf Vertrautes und unsere eigenen Maßstäbe fixiert sind. Der Mikrobiolo-
ge Norman Pace aus Berkeley hat das an einer schlichten Frage verdeutlicht: „Was
schwimmt im Meer?“ und festgestellt: „Die meisten Leute denken an Wale und See-
hunde, aber 90 Prozent der Organismen im Meer haben einen Durchmesser von weni-
ger als zwei Mikrometern. “
Nun gehe ich zwar nicht davon aus, dass eine Akademie ständig brisante Rätsel löst
oder lösen kann, wie beispielsweise die vor kurzem auf einer Astronomen-Konferenz
aufgeworfene spannende Frage nach der so genannten „dunklen Energie“. Diese erhöht
quasi als „Antischwerkraft“ die Geschwindigkeit der Supernovae und beschleunigt
damit die Expansion des Universums - entgegen allen bisherigen Annahmen. Solche
kosmischen Rätsel bleiben sicher noch eine ganze Weile Ausdruck der Undurchdring-
lichkeit eines Universums unendlicher Möglichkeiten für einen endlichen Geist.
Ich bin aber sicher, dass nur das Zusammenwirken - nicht nur zwischen den Diszi-
plinen, sondern gerade auch zwischen den Generationen - das Potenzial besitzt, eben
jene Offenheit für neue Denkweisen und unkonventionelle Schlussfolgerungen her-
vorzubringen, die Max Planck mit seinem Ausspruch wohl im Sinn hatte. Wie schwie-
rig es ist, diese Offenheit zu gewährleisten, wird beispielsweise daran deutlich, dass
Einsteins grundlegende Arbeit beinahe nicht veröffentlicht worden wäre, weil in ganz
Deutschland nur eine einzige Person daran glauben wollte - darauf weist der Wissen-
schaftshistoriker Gerald Holton aus Harvard hin. Einstein soll übrigens dazu bemerkt
haben, „anscheinend interessierten sich weitaus mehr Geistliche als Physiker für die
Konsequenzen der Relativität. “
Gerade auch aus diesem Grund begrüße ich das von uns angeregte „Wissenschafts-
und Innovationsprogramm - WIN“. Dessen Konzept einer akademiespezifischen
Ausrichtung an interdisziplinären Forschungsthemen unter Anknüpfung an Forscher-
gruppen scheint mir - vor allem auch in Abgrenzung zu anderen Formen der Nach-
wuchsförderung - ein überzeugender und vielversprechender Ansatz. Ich wünsche der
Akademie, dass sie sich der Kritik des Münchener Symposions auch mit diesem Pro-
gramm erfolgreich entgegenstellt und damit bundesweit eine Vorbildrolle im Akade-
miewesen einnehmen kann. Den künftig bei Ihnen wirkenden Nachwuchswissen-
schaftlern wünsche ich, dass sie mit offenen Armen aufgenommen und in die Akade-
miearbeit nachhaltig eingebunden werden.
 
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