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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Jüngel, Eberhard: Gerhard Ebeling (6.7.1912 - 30.9.2001)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0164
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Gerhard Ebeling

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ihm allerdings an der Verifikation des Wahrheitsanspruches dieses Wortes im wider-
sprüchlichen Leben besonders gelegen war. Deshalb hat Ebeling die Dimension der
Erfahrung für die Theologie zurückzugewinnen versucht. Deshalb hat er die Frage
nach dem historischen Jesus neu zu beleben unternommen. Deshalb hat er die überra-
gende Bedeutung des Gewissens für das Menschsein des Menschen herausgearbeitet.
Die entsprechende hermeneutische Aufgabenstellung verband Ebeling mit Ernst
Fuchs, dem er für das eigene Denken schöpferische Anregungen verdankte. Beide
zusammen haben zwei Jahrzehnte lang die deutschsprachige „theologische Szene“
geprägt, aber auch weit in die angelsächsische Welt hineingewirkt. Dafür war die von
Ebeling nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebte "Zeitschrift für Theologie und Kir-
che ein als theologisches Diskussionsforum gar nicht hoch genug zu veranschlagendes
Instrument. Die Leser dieser Zeitschrift erfuhren, was ein theologisches Florett ver-
mag.
Ebelings Theologie ging zwar von Luther aus und kehrte immer wieder zu ihm
zurück - zuletzt mit der aus Luthers Briefen rekonstruierten Seelsorge des Reforma-
tors. Doch zwischen Ausgang und Rückkehr lagen Entdeckungsreisen in weit gestreu-
te Forschungsgebiete. Schleiermacher kam ebenso in den Blick wie Franz von Assisi,
Lavater ebenso wie Ludwig Feuerbach. Aber auch von der in der Sicht Ebelings par-
tiellen Wirklichkeitsblindheit des „Kritischen Rationalismus“ ließ sich der Theologe
herausfordern. Das systematische Interesse für ein der Fülle des Lebens gerecht wer-
dendes Wirklichkeitsverständnis, das sich dem in die ambivalente Lebenswirklichkeit
richtend und befreiend eingreifenden Wort Gottes nicht verschließt, hat Ebeling
schließlich veranlaßt, seine „Dogmatik des christlichen Glaubens“ zu verfassen, die als
eine konsensbildende Dogmatik begrüßt wurde. Daß historisch-kritische Methode
und assertorische Rede von Gott, daß Exegese und Dogmatik, daß Konzentration auf
die heilige Schrift und Sensibilität für die Phänomene der Welt sich im Geist der Wahr-
heit zu verständigen vermögen - das ist das Vermächtnis dieses dem Wort Gottes etwas
zutrauenden evangelischen Theologen von Rang.
Konsensbildend ist etwas anderes als kompromißorientiert. Ohne das Recht not-
wendiger Kompromisse bezweifeln zu wollen, hat Ebeling sich doch primär der theo-
logischen Konsensbildung verpflichtet gewußt. Dabei war ihm nichts fremder als kir-
chenpolitische Schummelei. Deshalb hat er auch im Blick auf die Ökumene darauf
bestanden, daß hier ein echter Konsens nur dann möglich ist, wenn man sich die
eigentlichen konfessionellen Differenzen vorbehaltlos eingesteht. Dann freilich muß
es vorangehen. Denn nur im Kontext gegenwärtiger Herausforderungen kann sich
erweisen, was an den reformatorischen Grundeinsichten vorwärtsweisende Bedeutung
behält. Sie wollen ja wahres Leben erschließen, also aus unwahrem Leben befreien.
Solang aber die Christenheit in einander widersprechende Kirchen auseinandertritt,
bedarf auch das christliche Leben derjenigen Lehre, die es zu seiner Wahrheit befreit.
Gerhard Ebeling hat der befreienden Wahrheit des Evangeliums intensiv nachge-
dacht und sie lehrend und predigend vermittelt. Predigen und Lehren hieß für ihn
allerdings nichts anderes, als dem Evangelium Raum geben, das sogar mitten im Tode
„eitel Leben“ verheißt. „Media vita in morte kers umb media morte in vita sumus. So
glaubt, so spricht der Christ.“ So hat es Gerhard Ebeling bei Luther gelernt. Und diese
Lektion hat nicht nur sein Denken, sondern auch sein Leben und Sterben geprägt.
 
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