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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2004 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2004
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Antrittsreden
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Frank, Manfred: Antrittsrede vom 11. Dezember 2004
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https://doi.org/10.11588/diglit.66960#0136
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148 | ANTRITTSREDEN

Nur einem Exercitium unterzog er mich vorher unbarmherzig. Er schleppte
mich vielleicht 17jährig vors Heidelberger Geologische Institut - denn in Heidel-
berg wohnten meine Großeltern, und so war entschieden, wo ich zu studieren hätte
- und machte mir Beine, mich in der Beratung mit einem Geologie-Professor auf
selbstkritische Weise kundig zu machen. Nur die Furcht, unverrichteter Dinge zu
meinem unten wartenden Vater zurückzukehren, vermochte mich, diese Kröte an
Peinlichkeit zu schlucken, zumal es Ferienzeit war und der Professor — er hieß Simon
- keine Sprechstunde gab. Der Gesichtsausdruck des Professors wandelte sich von
Ärger über die Störung in Befremden, von dort in Amüsement. Aus dem seltsamen
Nachdruck der unausgesprochenen Teile meines Gestammels erriet er bald, dass es
nicht tunlich wäre, mich rauszuschicken oder auf seine Sprechstundentermine zu
verweisen. So fragte er mich streng, aber gutmütig, warum ich denn Geologie studie-
ren wolle. Das war die richtige Frage. Ich erzählte ihm von meiner Bergleidenschaft,
dass ich die Philosophie, die als Wahlpflichtfach erstmals an unserem altsprachlichen
Gymnasium für die Oberstufe angeboten worden war, verachte und die gediegenen
empirischen Naturwissenschaften liebe. Es stellte sich heraus, dass dieser Professor
selbst leidenschaftlich bergstieg. So testete er mich wie einen Prüfling, schickte mich
von den südlichen in die nördlichen Kalkalpen, von dort ins Berner Oberland und
auf die Grivola im Gran Paradiso. Alle Schichtenlagen, Gesteinsarten und -Zusam-
mensetzungen, ja selbst den Charakter heikler Kletterstellen ging er mit mir durch.
Was ich davon nicht aus eigener Anschauung kannte, wusste ich aus dem Genre von
Büchern, die meine fast ausschließliche Lektüre bildeten. Als ich dies alles bestanden
hatte — ich glaube: mit der Note ‘glänzend’ —, legte er sich in seinen Schreibtischstuhl
zurück und sagte, er glaube mir nun, dass ich die Leidenschaft und auch die Unlust
überwindende Ausdauer zum Geologiestudium besitze; ich könne meinem unten
harrenden Vater das ausrichten. Freilich sei die Geologie kein Fach mit guten Berufs-
aussichten. Als Kustos in einem Museum sehe er mich nicht; und wie er mich ein-
schätze, sei auch die Ausbeutung der Erdölreserven des Planeten bei einer Compagnie
nicht meine Sache. Ob ich mich denn nicht auch noch für was anderes interessiere.
Daran hatte ich eigentlich nicht gedacht. Ich lüftete ein Geheimnis und
erzählte ihm, dass ich heimlich neben den alpinistischen und geologischen Lektüren
einen vom Kulturmonopol meiner Familie unerfasst gebliebenen Schatz entdeckt
hatte: die Frühromantik, besonders die Schriften des Geologen und Salinendirektors
Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis. Es zeigte sich, dass nun die Reihe an
Herrn Simon kam, mich durch Kenntnis zu verblüffen. Am Ende riet er mir, einmal
gründlich in mich zu gehen und mich zu fragen, ob meine Liebe zur Welt der Stei-
ne nicht auf einer romantischen, also auf einer philosophischen Inspiration beruhe.
Denn ‘Philosophie’ wird ja von Friedrich Schlegel, etwas frei, mit ‘Sehnsucht nach
dem Unendlichen’ übersetzt. Die Philosophie sei im Übrigen in Heidelberg weit
besser und eindrucksvoller besetzt als die Geologie. Man müsse auch die Gunst eines
Ortes und seiner geistigen Konstellation ergreifen; Heidelberg sei eine Universität
großer Philosophie.
So geschah, dass ich das ganz Unwahrscheinliche tat — mein Vater ließ mir hier
übrigens große Freiheit — und tatsächlich Philosophie, Neuere deutsche Literatur
 
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