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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 23. Januar 20
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Rosenberg, Raphael: Dem Auge auf der Spur: Blickbewegungen beim Betrachten von Gemälden – historisch und empirisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0065
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23. Januar 2010 | 81

Die Bewegung des Auges war im ausgehendem 19. Jahrhundert ein wichtiges
Thema der Ophthalmologie. Damals erkannte man, dass das Auge bei der Betrach-
tung statischer Objekte keine fließenden Bewegungen ausfuhren kann, sondern erst
die Fixation eines Objekts das Sehen ermöglicht. Dementsprechend verläuft die
Bewegung des Augapfels ruckartig im Wechsel von Fixationen, die durchschnittlich
1/3 von einer Sekunde dauern, und sehr schnellen Sprüngen (,,Sakkaden“), die ins-
besondere dazu dienen, das Blickfeld zu erweitern. Spätestens seitdem man sakkadi-
sche Augenbewegungen 1898 aufzeichnete und nachdem 1935 der amerikanische
Psychologe Buswell Untersuchungen der Blickbewegung bei der Betrachtung von
Gemälden veröffentlichte, wäre em Blick über die Fachgrenze hinweg für Kunsthi-
storiker nahe liegend gewesen.* * * 7 Es dauerte aber rund em Jahrhundert bis die
Erkenntnisse der Ophthalmologie in der Kunstgeschichte rezipiert wurden.8
Das Projekt für das der Psychologe Christoph Klein und ich in den letzten Jah-
ren em Labor für empirische Bildwissenschaft aufgebaut haben, bietet auf diesem
Gebiet die erste direkte interdisziplinäre Kooperation zwischen diesen in sehr unter-
schiedlichen Fachkulturen beheimateten Fächern. Wir untersuchen auf der Ebene
der Blickbewegung, was sich bei der Betrachtung von Gemälden abspielt.
Blickbewegungen aufzuzeichnen (Eye-Tracking) heißt, mehrmals in der
Sekunde die Position der Pupille festzuhalten, um daraus den Punkt innerhalb einer
Fläche zu ermitteln, der betrachtet wird. Die Blickbewegungstechnologie wird seit
über hundert Jahren weiterentwickelt. Neuere Geräte sind weniger invasiv und
ermöglichen zugleich eine viel höhere Präzision und Auflösung in räumlicher und
zeitlicher Hinsicht. Zudem erschließt die digitale Ausgabe und Auswertung der
Daten neue Dimensionen der Analyse. Für den Einsatz im Bereich der Gemäldebe-
trachtung mit kunsthistorischen Fragestellungen bestehen spezifische Anforderungen
an Hard- und Software. Auf der einen Seite ist es wichtig, Aufzeichnungen der Blick-
bewegung ohne Zwischenkalibrierung bei gleichbleibender Präzision der Messer-
gebnisse und bei möglichst geringer Beeinträchtigung der Versuchspersonen durzu-
führen. Der bei Eye-Trackern häufige Einsatz von Kinnstützen oder gar von Beiß-
schienen sollte vermieden werden. Bewährt hat sich ein System bei dem die Kamera,
die die Position des Auges aufzeichnet, auf einem Fahrradhelm montiert ist. Die
Position des Helmes wird mit 50 Hz mittels eines elektromagnetischen Positionie-
rungssystems ermittelt, so dass die Versuchsperson sitzen, aufstehen und sich inner-

' Guy T. Buswell, How People Look at Pictures. A Study of the Psychology of Perception in Art, Chicago
1935. Zur allgemeine Geschichte der Erforschung von Blickbewegung siehe: Nicholas J.Wade &
Benjamin W Tatler, The Moving Tablet of the Eye. The Origins of Modern Eye Movement Research,
Oxford 2005.
8 Thomas Frangenberg, Der Betrachter. Studien zur florentinischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts,
Berlin 1990, S. 144 ff., Michael Baxandall, Fixation and Distraction. The Nail in Braque’s Violin
and Pitcher (1910), in: Onians, J. (Ed.): Sight and Insight. Essays on Art and Culture in Honour of
E. H. Gombrich at 85, London 1994, p. 413 und Karl Clausberg, Neuronale Kunstgeschichte, Wien
1999 zählen zu den ersten, die versucht haben, psychophysiologische Publikationen zur Blickbe-
wegung für das Verständnis der Kunstrezeption fruchtbar zu machen.
 
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