Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2010
DOI Kapitel:
Veranstaltungen
DOI Kapitel:
Antrittsreden
DOI Artikel:
Eberhard, Schockenhoff: Antrittsrede von Herrn Eberhard Schockenhoff an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 23. Januar 2010
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0187
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Eberhard Schockenhoff

203

Schritts beherrscht, wobei häufig auch em Verständnis von Autonomie und Selbst-
bestimmung leitend ist, das mir in philosophischer Hinsicht unzureichend und daher
kritikwürdig erscheint.
Der Autonomiebegriff bezeichnet in weiten Strömungen der gegenwärtigen
Bioethik nicht mehr wie in der auf Kant und Thomas zurückgehenden Tradition die
Fähigkeit, aus eigener Einsicht in das moralische Gesetz zu handeln, und sich frei von
partikularen Interessen, Neigungen und Wünschen zu vernünftiger Selbstgesetz-
gebung zu erheben, sondern das Recht, eigene Wünsche zu äußern und sie gegen-
über den Interessen anderer durchzusetzen. Diese Verschiebung im Autonomiekon-
zept führt zu erheblichen Konsequenzen auf dem Feld der Bioethik: die Bereitschaft,
jeden Menschen, auch den schwachen und hilflosen, als Geschöpf Gottes und als
Person zu achten, der die vollen Rechte des Menschseins zukommen, weicht der
Aufforderung, Interessen geltend zu machen oder Präferenzen zu äußern, um durch
den empirischen Nachweis dieser Fähigkeiten den Personstatus zu erlangen. Wer
dazu nicht in der Lage ist, verdient in einer Moral der gegenseitigen Interessen-
erwägung keine Berücksichtigung; die moralische Gemeinschaft bleibt ihm ver-
schlossen, weil er deren Zulassungskriterien nicht erfüllt.
Zudem wird das Verheißungspotential der modernen Lebenswissenschaften im
öffentlichen Diskurs gezielt wach gerufen, um das Bild einer besseren Zukunft und
eines glücklicheren Lebens für alle entstehen zu lassen. Ob die erhofften Durch-
brüche zu neuartigen Therapien für bislang unbehandelbare Krankheitsbilder jemals
gelingen werden, ist ungewiss. Doch soll die Berufung auf das hohe Gut der Gesund-
heit mögliche Zweifel von vornherein zum Schweigen bringen und moralische Ein-
wände verstummen lassen. Auch ich argumentiere nicht gegen Gesundheit, sondern
für einen ethisch verantwortlichen Weg in der medizinischen Grundlagenforschung
und der Erprobung neuer Therapien, der die Rechte aller Betroffener berücksich-
tigt. Eine ethische Beurteilung von Forschungsvorhaben oder medizinischen Thera-
pieansätzen darf nicht allem den Interessen der Forschung oder zukünftiger Patien-
tengruppen zur Durchsetzung verhelfen, sie muss vielmehr nach meinem Verständ-
nis eine advokatorische Funktion einnehmen, die in moralischen Kontroversen an
die Rechte derer erinnert, die ihre eigenen Interessen noch nicht (oder nicht mehr)
geltend machen können.
Ich bin mir bewusst, dass auch diese Argumentation auf Einwände stößt und
Gegenfragen hervorruft; dies macht gerade den Reiz der bioethischen Debatte aus.
Ich wollte Ihnen bei meiner Vorstellung aber wenigstens das Grundmuster meiner
Herangehensweise an konkrete bioethische Probleme skizzieren, damit Sie einen
Einblick in eines meiner Tätigkeitsfelder im Bereich der angewandten Ethik haben.
Andere weniger konflikthafte Forschungsgebiete kreisten in den vergangenen
Jahren um das Ethos der Wahrheit, dessen Ansprüche ich im Bereich der Medien,
der Politik, der Wahrheitsermittlung im Recht und innerhalb der Arzt-Patienten-
Beziehung sowie den Anforderungen und Sorgfaltsstandards guter wissenschaftlicher
Praxis untersuchte.
Für die kommenden Jahre plane ich einen weiteren Schwerpunkt, der sich mit
den ethischen Fragen der Friedenssicherung und des Einsatzes militärischer Gewalt
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften