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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Krammer, Peter H.: Antrittsrede von Herrn Peter Krammer an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 30. Oktober 2010
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0207
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Peter Krammer

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Antrittsrede von Herrn PETER KRAMMER
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 30. Oktober 2010.


Meine Damen und Herren,
einer meiner guten wissenschaftlichen Freunde betreut
eine der größten Kohorten von Hundertjährigen. Vor
kurzem sagte er mir: „Hundertjährige gelten schon
allem auf Grund ihres Lebensalters als erfolgreich, und
alle erfolgreichen Menschen sind Lügner.“ Bei den
Hundertjährigen, die sehr wohl um ihre Erfolgs-
geschichte wissen, drückt sich das darin aus, dass sie das
Erreichen ihres hohen Alters damit begründen, dass sie
angeben, täglich zum Beispiel einen Schnaps zu trinken

oder eine Zigarre zu rauchen oder irgendeinen anderen
eingängigen Unsinn verbreiten. Hier ist klar, dass gelogen wird, dass sich die Balken
biegen. Wenn man im Alter von 64 Jahren in der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften seine Antrittsrede halten kann, so ist dies natürlich ebenfalls eine
Erfolgsgeschichte. Dennoch möchte ich Sie nicht mit Lügen über meinen bisheri-
gen Werdegang und mein Leben langweilen. Ich betrachte diese Antrittsrede eher als
eine Übung in punkto Bescheidenheit.
Ich bin 1946 in Rheydt im Rheinland geboren. Diese Stadt hat Menschen wie
den Flugzeugkonstrukteur Hugo Junkers hervorgebracht, aber auch leider Josef
Goebbels. Meine Mutter, die leider sehr früh verstorben ist, stammte aus einer jüdi-
schen Familie und hat das 1000jährige Reich im Untergrund überlebt. Ich erzähle
Ihnen dies, weil ich 1976 aus Freiburg kommend in Heidelberg in das Haus in der
Bunsenstraße 19a eingezogen bin. Erst kürzlich, vor einigen Wochen, musste ich her-
ausfinden, dass dieses Haus eines der Judenhäuser war, in dem die Juden Heidelbergs,
die nicht sofort nach Gurs deportiert worden sind, einige Zeit überleben konnten.
Sie können sich vorstellen, dass ich dies im Nachhinein noch als Schock empfunden
habe, zumal ich mir nicht vorstellen möchte, welche Zustände in diesem Haus herr-
schten, und was in diesem Haus passiert ist. Ich möchte aber ausdrücklich diesen
Umstand erwähnen, da mir kürzlich das Buch „Das Europa der Akademien“, her-
ausgegeben von Volker Selin im Studium Generale, in die Hände gefallen ist, in dem
genau beschrieben ist, welche Rolle die Akademien in Deutschland und auch die in
Heidelberg gespielt haben. Ich finde es deswegen besonders bemerkenswert, dass ich
hier als Sohn einer jüdischen Familie vor Ihnen stehe und diesen Aspekt noch ein-
mal ins Gedächtnis rufen kann.
Aus meiner Jugendzeit in Rheydt gibt es zwar Einiges zu berichten, wie zum
Beispiel die Tatsache, dass ich schon mit 14 Jahren die Schülerzeitung für drei
Rheydter Gymnasien herausgegeben habe. Am erwähnenswertesten scheint mir
aber, dass ich im zarten Alter von etwa 15 Jahren Zweiter im Kugelstoßen in
Deutschland war. Emen ähnlichen sportlichen Erfolg würde ich heute gerne noch
 
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