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ANTRITTSREDEN
chungen auf Flächen sind ein Nebenprodukt meiner Arbeit zur Diskretisierung
nichtlinearer geometrischer Differentialgleichungen.
In meinem ersten mathematischen Leben habe ich mich mit der Analysis
nichtlinearer partieller Differentialgleichungen mit geometrischem Hintergrund
befasst. Dazu gehörte insbesondere das sogenannte Plateausche Problem, bei dem es
um Minimalflächen zum Beispiel als Modell für Seifenhäute geht. Hier war die
Regularitätstheorie ein schwieriger und wichtiger Bereich. Es gibt sehr schöne
mathematische Sätze und Resultate, aber es gibt noch sehr viel mehr schöne
Flächen, auf die man teilweise erst durch die theoretischen Resultate gekommen ist.
Hier hat es in den letzten Jahrzehnten wunderbare Ergebnisse gegeben — auch durch
die Numerik.
Beeinflusst insbesondere durch die anwendungsnahe Mathematik an der
RWTH Aachen habe ich mich dazu entschlossen, die theoretischen Resultate in
die Praxis umzusetzen. Ich habe die Theorie diskretisiert, Algorithmen entwickelt
und implementiert, und auch die Konvergenz der diskreten Lösungen gegen die
kontinuierlichen Lösungen bewiesen. Eine besondere und jedem Mathematiker und
jeder Mathematikerin zu empfehlende Erfahrung war, dass man die Resultate sehen
konnte, sozusagen „etwas in der Hand hatte“. Und man konnte auf dem Rechner
experimentieren.
Seit dieser Zeit lebe ich wissenschaftlich auf dem „Grat“ zwischen reiner und
angewandter Mathematik und werde von beiden Seiten einerseits mit einem gewis-
sen Misstrauen betrachtet, andererseits aber auch als Vermittler zwischen Theorie
und Anwendung geschätzt. Dies umso mehr, als ich inzwischen über komplexere
Variationsprobleme und über die Numerik geometrischer Differentialgleichungen
höherer Ordnung arbeite. Dies schließt den sogenannten Willmorefluss und den
Riccifluss ein, beides wichtige Objekte der theoretischen mathematischen For-
schung. Wir haben in Freiburg gemeinsam mit Tübingen einen SFB/TR zu diesem
Themenkreis. Das Schöne ist, dass insbesondere das höchst nichtlineare Willmore-
funktional als Helfrichfunktional einen wesentlichen Teil der Modellierung von
Zellmembranen ausmacht. Und diese Bedeutung geometrischer Funktionale für
Anwendungen geht noch viel weiter. Hier gibt es Verbindungen zu Mechanikern,
Architekten, Bauingenieuren, Biologen und nicht zuletzt zu Informatikern im Rah-
men der Bildverarbeitung und Visualisierung.
Ein anderes einfacheres Beispiel ist der Mean Curvature Flow, mit dem ich
anfing. Zunächst scheint dies ein theoretisches, mathematisches Problem zu sein.
Aber man sieht auch, dass dieser so theoretische Fluss als Gibbs-Thomson-Bezie-
hung die wichtigste Komponente bei der Modellierung des Kristallwachstums
ist. Mit meinem Kollegen Benz aus der Kristallographie gab es eine langjährige
Zusammenarbeit bei der Simulation der Kristallzüchtung. Die Kristalle werden zum
Beispiel für Infrarotdetektoren verwendet. Diese Zusammenarbeit verlief von der
Analysis über die Numerik bis hm zu Anwendungen im Rahmen des BMBF-
Programms „Mathematik als Schlüsseltechnologie“ bei einer Kristallzüchtungsfirma.
Ich sollte aber nicht verschweigen, dass die Simulation stark anisotroper Kristalle
immer noch nicht zuverlässig funktioniert. Das liegt an der Instabilität des Problems
ANTRITTSREDEN
chungen auf Flächen sind ein Nebenprodukt meiner Arbeit zur Diskretisierung
nichtlinearer geometrischer Differentialgleichungen.
In meinem ersten mathematischen Leben habe ich mich mit der Analysis
nichtlinearer partieller Differentialgleichungen mit geometrischem Hintergrund
befasst. Dazu gehörte insbesondere das sogenannte Plateausche Problem, bei dem es
um Minimalflächen zum Beispiel als Modell für Seifenhäute geht. Hier war die
Regularitätstheorie ein schwieriger und wichtiger Bereich. Es gibt sehr schöne
mathematische Sätze und Resultate, aber es gibt noch sehr viel mehr schöne
Flächen, auf die man teilweise erst durch die theoretischen Resultate gekommen ist.
Hier hat es in den letzten Jahrzehnten wunderbare Ergebnisse gegeben — auch durch
die Numerik.
Beeinflusst insbesondere durch die anwendungsnahe Mathematik an der
RWTH Aachen habe ich mich dazu entschlossen, die theoretischen Resultate in
die Praxis umzusetzen. Ich habe die Theorie diskretisiert, Algorithmen entwickelt
und implementiert, und auch die Konvergenz der diskreten Lösungen gegen die
kontinuierlichen Lösungen bewiesen. Eine besondere und jedem Mathematiker und
jeder Mathematikerin zu empfehlende Erfahrung war, dass man die Resultate sehen
konnte, sozusagen „etwas in der Hand hatte“. Und man konnte auf dem Rechner
experimentieren.
Seit dieser Zeit lebe ich wissenschaftlich auf dem „Grat“ zwischen reiner und
angewandter Mathematik und werde von beiden Seiten einerseits mit einem gewis-
sen Misstrauen betrachtet, andererseits aber auch als Vermittler zwischen Theorie
und Anwendung geschätzt. Dies umso mehr, als ich inzwischen über komplexere
Variationsprobleme und über die Numerik geometrischer Differentialgleichungen
höherer Ordnung arbeite. Dies schließt den sogenannten Willmorefluss und den
Riccifluss ein, beides wichtige Objekte der theoretischen mathematischen For-
schung. Wir haben in Freiburg gemeinsam mit Tübingen einen SFB/TR zu diesem
Themenkreis. Das Schöne ist, dass insbesondere das höchst nichtlineare Willmore-
funktional als Helfrichfunktional einen wesentlichen Teil der Modellierung von
Zellmembranen ausmacht. Und diese Bedeutung geometrischer Funktionale für
Anwendungen geht noch viel weiter. Hier gibt es Verbindungen zu Mechanikern,
Architekten, Bauingenieuren, Biologen und nicht zuletzt zu Informatikern im Rah-
men der Bildverarbeitung und Visualisierung.
Ein anderes einfacheres Beispiel ist der Mean Curvature Flow, mit dem ich
anfing. Zunächst scheint dies ein theoretisches, mathematisches Problem zu sein.
Aber man sieht auch, dass dieser so theoretische Fluss als Gibbs-Thomson-Bezie-
hung die wichtigste Komponente bei der Modellierung des Kristallwachstums
ist. Mit meinem Kollegen Benz aus der Kristallographie gab es eine langjährige
Zusammenarbeit bei der Simulation der Kristallzüchtung. Die Kristalle werden zum
Beispiel für Infrarotdetektoren verwendet. Diese Zusammenarbeit verlief von der
Analysis über die Numerik bis hm zu Anwendungen im Rahmen des BMBF-
Programms „Mathematik als Schlüsseltechnologie“ bei einer Kristallzüchtungsfirma.
Ich sollte aber nicht verschweigen, dass die Simulation stark anisotroper Kristalle
immer noch nicht zuverlässig funktioniert. Das liegt an der Instabilität des Problems