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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2015
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Maul, Stefan M.: Politikberatung im Alten Orient oder Von Sinn und Unsinn der Prognostik
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0038
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II. Wissenschaftliche Vorträge

Stefan Maul
„Politikberatung im Alten Orient oder Von Sinn und Unsinn der
Prognostik"
Gesamtsitzung am 24. Januar 2015
Wenn es wichtige politische Beschlüsse zu fassen galt, so zeigen es die uns zur
Verfügung stehenden keilschriftlichen Quellen aus Zwei jahrtausenden, setzten
im Alten Orient Könige und ihre Beratergremien nicht ausschließlich auf den
eigenen Sachverstand. Sie erachteten es, wie es scheint durch die Zeiten hinweg,
für ratsam, ein Vorhaben erst dann in die Tat umzusetzen, wenn dessen Tragfä-
higkeit von einem von Herrscher und Kabinett unabhängigen Sachverständi-
genrat geprüft und bestätigt worden war. Die Autorität, die man einer solchen
Prüfung beimaß, kann kaum überschätzt werden. Dies zeigt sich schon allein
darin, dass die Herrschenden deren Ergebnis in aller Regel ohne Widerspruch
akzeptierten und bereit waren, dabei in Kauf zu nehmen, dass das zu evaluieren-
de Vorhaben als aussichtslos eingestuft wurde. Freilich versprach ein Gutachten
der unabhängigen Sachverständigen im Gegenzug, verlässliche Prognosen über
den Erfolg einer geplanten Unternehmung liefern zu können. Die Fachleute,
die ein solches Gutachten erstellten und sich durch ein langes, von Prüfungen
begleitetes Studium auszuweisen hatten, garantierten, über einschlägiges Wissen
und bewährte, zielführende Verfahren zu verfügen, die es ihnen ermöglichten,
aus dem Blickwinkel der Zukunft gewissermaßen zurückschauend die Konse-
quenzen eines beabsichtigten Vorhabens genau zu übersehen und somit jene
Planungen und Absichten benennen zu können, die zu ungewollten Fehlent-
wicklungen führen würden.
Es liegt auf der Hand, dass die Aussicht auf ein solches Wissen attraktiv
und für politische Entscheidungsträger von unschätzbarem Wert ist, versprach
es doch demjenigen, der ein entsprechendes Gutachten einholte und einen posi-
tiven Entscheid erhielt, die Gewissheit, mit dem gefassten Entschluss den rich-
tigen, zukunftsweisenden und alsbald auch von Erfolg gekrönten Weg gewählt
zu haben.
So einsichtig und vernünftig es klingt, die Zukunftsfähigkeit geplanter
Vorhaben vor deren Umsetzung genau zu überprüfen, so abwegig, ja gerade-
zu lächerlich absurd erscheinen aus dem Blickwinkel unseres eigenen heutigen
Weltbildes die Mittel, mit denen man im Alten Orient entsprechende Evaluati-
onen vornahm. Die Zukunftsaussichten eines Planes wurden nämlich an altori-
entalischen Königshöfen über viele Jahrhunderte hinweg regelmäßig aus Gestalt
und Färbung der Eingeweide und insbesondere der Leber eines eigens zu diesem
Zweck ausgewählten und dann geschlachteten Schafes ermittelt. Es hatte sich
eine regelrechte Wissenschaft entwickelt, die das äußere Erscheinungsbild einer

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