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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2001 — 2002

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I. Das Geschäftsjahr 2001
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 13. Juli 2001
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Hölscher, Tonio: Würdige Könige und heldenhafte Söhne: die konzeptionellen Altersstufen der Herrscher und ihre Götter im Hellenismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.66350#0087
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse
am 13. Juli 2001
Vor Eintritt in die Tagesordnung gedenkt der Sekretär des verstorbenen korr. Mit-
glieds Wolfgang Kimmig.
Herr Tonio Hölscher hält einen Vortrag: „Würdige Könige und heldenhafte Söhne.
Die konzeptionellen Altersstufen der Herrscher und ihrer Götter im Hellenismus“.
Als der junge Alexander 336 v. Chr. König der Makedonen wurde, war dies ein Auf-
tritt auf der „Bühne der Weltgeschichte“, wie er spektakulärer kaum hätte sein kön-
nen. Wie ein Held aus der mythischen Vorzeit erschien er den Zeitgenossen, unwider-
stehlich in seiner physischen Dynamik wie seinem emotionalen Impetus.
Seine Erscheinung ist von einer großen Zahl von Bildnissen bekannt, aus allen Tei-
len der antiken Welt, zu seinen Lebzeiten und noch Jahrhunderte nach seinem Tod
entstanden. Sie sind kaum als realistische Zeugnisse seiner individuellen Physiognomie
zu werten, sondern geben ein weites Spektrum von Rezeptionen seiner außergewöhn-
lichen Bedeutung wieder. Allen aber liegt ein allgemeines Image zugrunde, das eine
höchst wirkungsvolle Rolle des Herrschers vor Augen stellt: ohne Bart, in strahlender
Jugend; über der Stirn mächtig aufstrebende Locken, in der Antike als Zeichen löwen-
haften Mutes gedeutet; das volle Haar lang in den Nacken fallend, ein Motiv helden-
hafter Schönheit; der Kopf in einer heftigen Bewegung zur Seite gewendet und mit
einem charakteristisch intensiven Blick in die Ferne gerichtet, ein Ausdruck der raum-
greifenden Energien des Eroberers. Offensichtlich ist diese Darstellung nicht nur eine
künstlerische Stilisierung in den Bildnissen, sondern entspricht der Wirklichkeit: Alex-
ander hat seine persönliche Erscheinung zu einem „Habitus“ stilisiert und sein öffent-
liches Auftreten in einer Form inszeniert, die über Jahrhunderte ein Ideal des Herr-
schers bleiben sollte. Sein Auftreten wurde zum „Bild“.
Dies politische Image stand zu seiner Zeit im diametralen Gegensatz zu den
gewohnten Vorstellungen von führenden Staatsmännern und Herrschern in Griechen-
land. Sowohl der athenische Politiker Perikies als auch Alexanders königlicher Vater
Philipp II. erscheinen in ihren Bildnissen mit Bart, auf der Höhe und in der Würde des
mittleren Lebensalters. Väterliche Autorität war das Ideal des Staatsmannes, das bis zu
Alexander vorherrschte, und dies Ideal bestimmte nicht nur die Bildnisse, sondern
auch den „Stil“ der politischen Wirklichkeit. Die Konstellation von Philipp II. und
Alexander dem Großen bezeugt daher einen umfassenden Wechsel im Paradigma des
Herrschers: von der Rolle des autoritativen „Vaters“ zu der des heldenhaften „Soh-
nes“.
Mit dieser Rolle des bartlosen jugendlichen Helden knüpfte Alexander aber an ein
altes Ideal der griechischen Gesellschaftsstruktur an. In der Forschung gilt es als
Lehrsatz, daß erst mit Alexander die Sitte aufgekommen sei, im erwachsenen Alter den
Bart zu rasieren. Tatsächlich aber zeigen viele Bildwerke, daß junge Männer bis zum
Alter von etwa 30 Jahren seit jeher ohne Bart auftraten. Damit ist eine wichtige Alters-
gruppe der griechischen Gesellschaft bezeichnet: Die Knaben traten nach der Puber-
tät in eine Phase der physischen, später auch geistigen Ausbildung außerhalb der städ-
tischen Siedlungen ein; im Alter von 18 Jahren wurden die Jugendlichen als Vollbür-
ger in die Gemeinschaft aufgenommen, zur Volksversammlung zugelassen und zum
 
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