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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 16. April 20
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Koch, Peter: In der Werkstatt des Wortschatzes
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0076
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92 | SITZUNGEN

span, carniza carnicero im Spiel ist ((10): fleisch eines geschlachteten tieres
FLEISCHER). Beim Bedeutungswandel [A] basiert die ‘Erweiterung’ auf dem Schritt
von einer Kategorie zu einer ihr ‘übergeordneten’, abstrakteren Kategorie innerhalb
einer konzeptuellen Taxonomie ((9): BOCKSSCHLÄCHTER FLEISCHER), und bei der
‘Bedeutungsverengung’ verhält es sich genau umgekehrt. Nun beobachten
wir jedoch auch bei einer Entlehnung [C] wie dt. Rendezvous gleichzeitig eine
Bedeutungsverengung (mit taxonomischer ‘Unterordnung’) im Verhältnis zum
Ursprungswort franz, rendez-vous:
(12) dt. Rendezvous AMOURÖSE VERABREDUNG <- franz, rendez-vous VERABREDUNG
[A] , [B] und [C] sind also nicht drei strikt getrennte Typen, sondern drei Dimensio-
nen des lexikalischen Wandels, und jeder Schritt des Wandels lässt sich im Hinblick
auf jede dieser drei Dimensionen charakterisieren, z.B. bei (9): [A] taxonomische
Überordnung, [B] keine Veränderung, [C] autochthon; bei (10): [A] Kontiguität, [B]
Wortbildung mit Suffix, [C] autochthon; bei (12): [A] taxonomische Unterordnung,
[B] keine Veränderung, [C] Entlehnung. Dieses dreidimensionale A-B-C-Modell des
lexikalischen Wandels ermöglicht es uns nun, beim Blick in die „Werkstatt des Wort-
schatzes“ Neuland zu betreten, indem wir die kognitiven Relationen, die der
Dimension [A] entsprechen, aus jedem einzelnen Schritt des Wandels herausfiltern,
auch wenn zugleich eine Wortbildung [B] und/oder eine Entlehnung [C] vorliegt.
Die Leitfrage ist also: welche grundlegenden kognitiven Relationen entsprechend
[A] sind flächendeckend bei allen Typen des lexikalischem Wandels im Spiel?
In einer ersten, vorläufigen Annäherung beschränken wir uns auf fünf romani-
sche Sprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch, Rumänisch, [logudoresisches] Sar-
disch) und nehmen als Grundlage ein von Swadesh bereitgestelltes, sehr basales und
relativ begrenztes Konzept-Repertoire, aus dem wir 179 lexikalisch relevante Kon-
zepte extrahieren (auf deren Status zurückzukommen sein wird). Analysiert wird,
sofern sich gegenüber dem klassischen Latein etwas verändert hat, der diachronisch
jeweils letzte Schritt des lexikalischen Wandels, durch den die heutigen Bezeichnun-
gen der betreffenden Konzepte in den fünf genannten Sprachen entstanden sind.
Unsere wichtigste Hypothese besagt, dass die am häufigsten auftretende kognitive
Relation die Kontiguität sein wird. Dies ergibt sich nicht nur aus einer Intuition, die
sich im Laufe langer Beschäftigung mit Problemen des lexikalischen Wandels ver-
dichtet hat, sondern vor allem aus einer theoretischen Vorüberlegung: die Kontiguität
(in dem oben beschriebenen Sinne) stellt ohne Zweifel die „schlichteste“ kognitive
Relation dar — verglichen mit den (ebenfalls bereits erwähnten) taxonomischen
Uber- und Unterordnungsrelationen, die Abstraktionsprozesse voraussetzen, oder
mit der ‘metaphorischen Similarität’, die komplexe „Sprünge“ zwischen kognitiven
Frames oder Taxonomien impliziert. Damit ist Kontiguität am universellsten ein-
setzbar, bisweilen auch am unauffälligsten. Es hegt für die Sprecher also nahe, bei der
Suche nach neuen Bezeichnungen massiv auf sie zurückzugreifen.
Schauen wir uns nun die Ergebnisse für unsere fünf Sprachen an, so variieren
hier selbstverständlich im Einzelnen die Prozentanteile der verschiedenen kognitiven
Relationen. „Spitzenreiter“ ist jedoch bei weitem die Kontiguität (mit zwischen
 
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