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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 16. April 20
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Koch, Peter: In der Werkstatt des Wortschatzes
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0077
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16. April 2010

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39—45 %), während z.B. die taxonomische Überordnung (mit zwischen 11—16%) auf
Platz 2 rangiert (im Französischen gar nur auf Platz 3). Bemerkenswert ist die Tat-
sache, dass die Metaphorik, die landläufig als eine der wichtigsten Quellen lexikali-
scher Kreativität gesehen wird, hier nur einen sehr bescheidenen Anteil aufweist
(metaphorische Similarität: 3—6%). Es ist zu früh, um diese Ergebnisse zu verallge-
meinern. Es müssten zusätzlich nichtromanische und nach Möglichkeit auch außer-
europäische Sprachen getestet werden, um sicherzustellen, dass es sich nicht um eine
typische „romanische“ oder auch nur europäische Tendenz handelt. Die theoreti-
schen Vorüberlegungen legen jedoch nahe, dass die bisherigen Ergebnisse nicht ganz
zufällig sind.—
Beiläufig wurde bereits angedeutet, dass die onomasiologische Anwendung
eines vorgegebenen Konzept-Repertoires wie desjenigen von Swadesh auf unter-
schiedliche Sprachen alles andere als unproblematisch ist. In der Geschichte der
Sprachbetrachtung pendelte die Diskussion über Sprache und Denken ständig zwi-
schen der Betonung sprachlicher ‘Relativität’ (z. B. in W. v. Humboldts Schlagwort
von den einzelsprachlichen ‘Weltansichten’ oder in der so genannten Sapir-Whorf-
Hypothese) und stärker universalistisch orientierten Ansätzen hin und her (z. B. in
der Grammatik von Port-Royal oder in der heutigen logischen Semantik). Bei
Anwendung sehr strenger Kriterien gibt es möglicherweise nur ganz wenige uni-
versale Konzepte in den Sprachen der Welt. Wir können aus der Not aber eine
Tugend machen, indem wir nicht fragen, welche Konzepte exakt in allen Sprachen
gleich gefasst werden, sondern uns anschauen, wie bestimmte konzeptuelle Zonen in
unterschiedlichen Sprachen strukturiert sind. Diese Herangehensweise bereichert in
erheblichem Maße auch unseren diachronischen Blick in die „Werkstatt des Wort-
schatzes“ anhand des Lateins und der fünf ausgewählten romanischen Sprachen.
Auf Grund der engen Verwandtschaft der hier betroffenen Sprachen klaffen die
Strukturierungen nicht in allen konzeptuellen Zonen auseinander, aber es lassen sich
doch Divergenzen beobachten. Erkennbar sind zwei Hauptparameter der Divergenz,
die hier nur jeweils durch em Beispiel illustriert werden können (dabei zählt jetzt
nur noch der Strukturaspekt, nicht mehr die Kontinuität der Wörter als solcher).
Zum einen können Unterschiede in der taxonomischen Strukturierung auftreten: so
kannte das Latein nur ein allgemeines Konzept FLEISCH, worin ihm Spanisch, Italie-
nisch und Rumänisch folgen, während das Französische und das Sardische eine —
nicht hintergehbare — Distinktion zwischen lebendes fleisch vs. fleisch zum
ESSEN eingeführt haben (13). Zum anderen kann der lexikalische Umgang mit
kognitiven Frames divergieren: so motiviert die Tatsache, dass der FUSS ein Teil des
BEINES ist, den gemeinsamen Ausdruck für beides («->) in rum. picior, im Gegensatz
zu der völlig unabhängigen Versprachlichung (//) im Lateinischen wie auch in den
meisten romanischen Sprachen ((14); eine Divergenz, die aus der Sprachtypologie
bestens bekannt ist).
(13) Konzept FLEISCH: span, carne, ital. carne, rum. carne <= klass.-lat. caro
Konzept lebendes fleisch vs. fleisch zum essen: franz, chairvs. viande, sard.
carre vs. peta
 
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