10. Juni 2010 | 169
Vergleicht man so das Nüsse Knacken von Schimpansen mit frühen von Men-
schen hergestellten Steingeräten, lässt sich eine deutliche Erweiterung der Problem-
Lösung-Distanz feststellen. Neu ist der sogenannte Gebrauch von Sekundärwerk-
zeugen. Bereits die frühesten bekannten Steinabschläge zum Schneiden aus Ostafrika
vor ca. 2,5 Millionen Jahren sind Beleg für die Herstellung von Werkzeuge (Abschlä-
ge) mit Hilfe von Sekundärwerkzeugen (Schlagsteinen). Der Umweg zum eigentli-
chen Ziel (z.B. Zerlegung eines Beutetieres) wird durch einen zweiten Werkzeugfo-
kus erweitert, der sich zudem nicht auf das eigentliche Ziel bezieht, sondern seine
Wirkung bei der Herstellung des primären Werkzeugs entfaltet. Bislang ist die Nut-
zung von Sekundärwerkzeugen ausschließlich bei Menschen belegt, wenn auch die
Steingeräteherstellung im Experiment mit Bonobo Kanzi Hinweise gibt auf em
möglicherweise größeres Verhaltenspotential bei Schimpansenartigen als aufgrund
von Beobachtungen in freier Wildbahn angenommen. Im weiteren Verlauf der
menschlichen Entwicklung kam es zur zeitlichen Ausweitung von Handlungsketten.
Während die maximale Transportdistanz bei Schimpansen ca. 500 m beträgt, wurden
um 2 Millionen Jahre vor heute Steingeräte bzw. deren Rohmaterialien über meh-
rere Kilometer herbeigeschafft. Die Ausweitung der Transportdistanzen weist auf eine
verzögerte Befriedigung von Grundbedürfnissen bzw. die Erreichung des eigentli-
chen Ziels hm. Ab ca. 1,5 Millionen Jahren vor heute wurde die Herstellung von
Steingeräten deutlich komplizierter. Es genügten nicht mehr nur einfache, eventuell
wiederholte Abschläge, um opportunistisch das gewünschte Endprodukt zu errei-
chen. Die Herstellung z.B. von Faustkeilen ist ein kontrollierter Prozess mit etlichen
Handlungsschritten, die Rückkopplungen in Handlungskette verlangen. Die Grund-
lage ist ein zuvor existierendes geistiges Konzept, mit dem Zwischenstadien in der
Werkzeugherstellung verglichen werden.
Eine weitere wichtige Etappe in der Entwicklung des menschlichen Werk-
zeugverhaltens stellten die ungefähr 350.000 Jahre alten Wurfspeere von Schöningen
(Niedersachsen)2 dar. So simpel die einfachen Holzgeräte mit den optimal ausgeklü-
gelten Flugeigenschaften aussehen, so unmöglich zu denken sind sie in der Art, wie
tierischer Werkzeuggebrauch und das bisher beschriebene menschliche Werkzeug-
verhalten konzeptioniert sind, nämlich in relativ kurzer Zeit mit einem konkreten
Ziel der Befriedigung eines Grundbedürfnisses vor Augen. Die Herstellung eines
einfachen Speers erforderte eine Reihe von Werkzeugen, die weitere Werkzeuge zu
ihrer Herstellung benötigten. Die Rohmaterialien der Werkzeuge und für den Sperr
selbst waren nicht überall in gleicherweise zugänglich, die Vorbereitung und Zurich-
tung des Holzes brauchten Zeit, andere Probleme drängten in der Zwischenzeit auf
eine Lösung und unterbrachen den Herstellungsprozess bis zur Fertigstellung viele
Male. Die Komplexität des Verfahrens wurde ermöglicht durch eine Art gedankliches
2 Haidle, Miriam Noel 2009. Ein Speer ist ein Speer ist ein Speer? Kognitive Expansionen. In Ditte
Bandini & Ulrich Kronauer (Hrsg.), Früchte vom Baum des Wissens. 100 Jahre Heidelberger
Akademie der Wissenschaft. Eine Festschrift der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Heidelberg: Uni-
versitätsverlag Winter, 35—41.
Vergleicht man so das Nüsse Knacken von Schimpansen mit frühen von Men-
schen hergestellten Steingeräten, lässt sich eine deutliche Erweiterung der Problem-
Lösung-Distanz feststellen. Neu ist der sogenannte Gebrauch von Sekundärwerk-
zeugen. Bereits die frühesten bekannten Steinabschläge zum Schneiden aus Ostafrika
vor ca. 2,5 Millionen Jahren sind Beleg für die Herstellung von Werkzeuge (Abschlä-
ge) mit Hilfe von Sekundärwerkzeugen (Schlagsteinen). Der Umweg zum eigentli-
chen Ziel (z.B. Zerlegung eines Beutetieres) wird durch einen zweiten Werkzeugfo-
kus erweitert, der sich zudem nicht auf das eigentliche Ziel bezieht, sondern seine
Wirkung bei der Herstellung des primären Werkzeugs entfaltet. Bislang ist die Nut-
zung von Sekundärwerkzeugen ausschließlich bei Menschen belegt, wenn auch die
Steingeräteherstellung im Experiment mit Bonobo Kanzi Hinweise gibt auf em
möglicherweise größeres Verhaltenspotential bei Schimpansenartigen als aufgrund
von Beobachtungen in freier Wildbahn angenommen. Im weiteren Verlauf der
menschlichen Entwicklung kam es zur zeitlichen Ausweitung von Handlungsketten.
Während die maximale Transportdistanz bei Schimpansen ca. 500 m beträgt, wurden
um 2 Millionen Jahre vor heute Steingeräte bzw. deren Rohmaterialien über meh-
rere Kilometer herbeigeschafft. Die Ausweitung der Transportdistanzen weist auf eine
verzögerte Befriedigung von Grundbedürfnissen bzw. die Erreichung des eigentli-
chen Ziels hm. Ab ca. 1,5 Millionen Jahren vor heute wurde die Herstellung von
Steingeräten deutlich komplizierter. Es genügten nicht mehr nur einfache, eventuell
wiederholte Abschläge, um opportunistisch das gewünschte Endprodukt zu errei-
chen. Die Herstellung z.B. von Faustkeilen ist ein kontrollierter Prozess mit etlichen
Handlungsschritten, die Rückkopplungen in Handlungskette verlangen. Die Grund-
lage ist ein zuvor existierendes geistiges Konzept, mit dem Zwischenstadien in der
Werkzeugherstellung verglichen werden.
Eine weitere wichtige Etappe in der Entwicklung des menschlichen Werk-
zeugverhaltens stellten die ungefähr 350.000 Jahre alten Wurfspeere von Schöningen
(Niedersachsen)2 dar. So simpel die einfachen Holzgeräte mit den optimal ausgeklü-
gelten Flugeigenschaften aussehen, so unmöglich zu denken sind sie in der Art, wie
tierischer Werkzeuggebrauch und das bisher beschriebene menschliche Werkzeug-
verhalten konzeptioniert sind, nämlich in relativ kurzer Zeit mit einem konkreten
Ziel der Befriedigung eines Grundbedürfnisses vor Augen. Die Herstellung eines
einfachen Speers erforderte eine Reihe von Werkzeugen, die weitere Werkzeuge zu
ihrer Herstellung benötigten. Die Rohmaterialien der Werkzeuge und für den Sperr
selbst waren nicht überall in gleicherweise zugänglich, die Vorbereitung und Zurich-
tung des Holzes brauchten Zeit, andere Probleme drängten in der Zwischenzeit auf
eine Lösung und unterbrachen den Herstellungsprozess bis zur Fertigstellung viele
Male. Die Komplexität des Verfahrens wurde ermöglicht durch eine Art gedankliches
2 Haidle, Miriam Noel 2009. Ein Speer ist ein Speer ist ein Speer? Kognitive Expansionen. In Ditte
Bandini & Ulrich Kronauer (Hrsg.), Früchte vom Baum des Wissens. 100 Jahre Heidelberger
Akademie der Wissenschaft. Eine Festschrift der wissenschaftlichen Mitarbeiter. Heidelberg: Uni-
versitätsverlag Winter, 35—41.