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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Heidelberger Akademie-Vorlesung
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Kasper, Walter: Das Christentum im Dialog der Religionen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0172
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188 I VERANSTALTUNGEN

den Verlust der eigenen Identität. Dialog setzt gegenseitigen Respekt voraus, der über
solche indifferente Toleranz hinausgeht; Dialog verlangt überzeugte Toleranz, d. h.
eine Toleranz, die aufgrund der eigenen Überzeugung der Überzeugung des ande-
ren Respekt erweist und so in eine respektvolle Auseinandersetzung mit ihr eintritt.
Es geht — mit einem Wort von Emmanelle Levinas — um Achtung vor dem Anders-
sein des Anderen? Diese Achtung vor dem Anderssein des Anderen ist das genaue
Gegenteil eines gleichgültigen Indifferentismus und erst recht das Gegenteil eines
blinden Fundamentalismus, der heute zurecht als Bedrohung des friedvollen Zusam-
menlebens in der Gesellschaft und in der Welt gefürchtet wird.
Um diese überzeugte Toleranz, welche die anderen Religionen mit ihrem reli-
giösen Anspruch ernst nimmt, geht es im Folgenden. Es geht also nicht um die
gesellschaftlich zweifellos wichtigen Probleme der kulturellen, sozialen und wirt-
schaftlichen Integration, wie sie in Deutschland in den letzten Wochen ausführlich
und kontrovers diskutiert wurden. Es geht um die theologische Frage des interreli-
giösen Dialogs und dies in einer universalen und internationalen Perspektive. Es geht
deshalb auch nicht nur um den Islam, der verständlicher Weise in Deutschland und
in Europa im Augenblick im Vordergrund des Interesses steht. Der interreligiöse
Dialog betrifft u.a. auch die großen Religionen Asiens, ein Kontinent, der in den
nächsten Jahrzehnten zweifellos immer wichtiger werden wird.
Damit stellt sich zunächst und als erstes das Problem: Was ist das - Religion?
Was ist das Gemeinsame der Religionen? Gibt es das überhaupt? Was kann infolge-
dessen interreligiöser Dialog bedeuten und was kann er leisten?
IThs meint Religion?
Als Religion bezeichnet man heute vielerlei: Das Judentum, den Islam, die asiati-
schen Hochreligionen (Hinduismus, Buddhismus u.a.), die Naturreligionen, längst
untergegangene Religionen, wie etwa die der Maya, aber auch sogenannte neue
Religionen und neureligiöse Bewegungen. Oft wird der Begriff ausgeweitet auf
Mystik, Esoterik, New Age, sogenannte Jugendreligionen oder was gegenwärtig
sonst am religiösen Markt als frei vagabundierende Religiosität angeboten wird.
Teilweise werden sogar ausgesprochen areligiöse und antireligiöse Haltungen als
Religion oder als Religionsersatz eingestuft, wie die Idolisierung irdisch-endlicher
Größen (Rasse, Volk, Staat, Kultur, Sport u. a.).
Was also ist Religion? Auf diese Frage müssen wir antworten: Es gibt nicht die
Religion in der Einzahl, konkret gibt es nur recht unterschiedliche Religionen in
der Mehrzahl. Die Frage nach einem gemeinsamen Kern und einem gemeinsamen
substanzielles Wesen der Religion in den Religionen lässt sich schon rein etymolo-
gisch kaum beantworten.' Das lateinische Wort religio wird gewöhnlich assoziativ
von relegere, d.h. sorgfältig beobachten, abgeleitet und meint dann ähnlich wie pietas
oder cultus die religiös-kultische Observanz, die Beobachtung religiös-kultischer

6 E. Levinas, Die Spur des Anderen, Freiburg-München 1983.
7 Vgl. C. H. Ratschow, Art. Religion I und II in: HWPhVIII (1992) 632—637.
 
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