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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Heidelberger Akademie-Vorlesung
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Kasper, Walter: Das Christentum im Dialog der Religionen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0177
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23. November 2010 | 193

Gesichtspunkten entschieden werden. M.a.W. die Wahrheitsfrage lässt sich nicht aus-
blenden, es sei denn, man will sich einer ideologischen Diktatur unterwerfen und
einfach akzeptieren, was heute im allgemeinen als menschendienlich angesehen
wird. Dann aber entwürdigt man Gott bzw. das Göttliche zum Diener eigener
Zwecke.16 Die monotheistischen Religionen, also nicht nur orthodoxe Juden
und Christen sondern auch die Muslime haben von ihrem Gottesbild her ihr
Menschenbild. Die pluralistische These mutet den Religionen em Kriterium zu, das
sie nur um den Preis ihrer Selbstaufgabe akzeptieren können. Damit ist mit der
religions-pluralistischen These der Dialog, bevor er nur begonnen hat, von vorne
herein verunmöglicht.
Die Gottesfrage als das eigentliche Thema
Als Ausgangspunkt für den christlichen interreligiösen Dialog verbleibt vor allem die
inklusive Theorie, d.h. die Anerkennung von Gemeinsamkeiten zwischen den Reli-
gionen. Den Religionen gemeinsam ist die Anerkennung des Heiligen bzw. Göttli-
chen, den monotheistischen Religionen die Anerkennung des einen Gottes als
Ursprung und Orientierung des menschlichen Lebens. Das ist eine Gemeinsamkeit,
die angesichts eines säkularen Wirklichkeits- und Lebensverständnisses viel bedeutet.
Die Heiligkeit Gottes bzw. des Göttlichen schließt für alle Religionen auch die Ach-
tung vor der Heiligkeit des Lebens ein.
Weiter kann man darauf verweisen, dass alle Religionen in der einen oder
anderen Form die so genannte Goldene Regel kennen. In ihrer negativen Form: Was
du nicht willst, was man dir tut, das fug auch keinem anderen zu. In ihrer positiven,
schon anspruchsvolleren Form: Alles, was du möchtest, dass man dir tut, das tu auch
einem anderen. Diese Regel kann zur gemeinsamen Grundlage werden für den
gemeinsamen Einsatz für Gerechtigkeit, für Freiheit und Frieden in der Welt und
zum gemeinsamem Kampf gegen Armut, Gewalt, Diskriminierung u.a.. Es wäre sehr
viel gewonnen, wenn sich die Religionen, bei aller Anerkennung ihrer Unterschie-
de, auf diese Gemeinsamkeit verständigen und auf dieser Grundlage Zusammenar-
beiten könnten.
Die kritische Frage, die man besonders an den Islam haben kann und auch
haben muss, ist die Frage der Religionsfreiheit und damit die Frage nach der Grund-
lage unserer westlichen Verfassungs- und Rechtsordnung, die darin ihrerseits jüdisch-
christliche Tradition aufnimmt. Denn nach alttestamentlichem und neutestamentli-
chem Verständnis ist der eine Gott em Gott der Freiheit; er will im Glauben die freie
Antwort des Menschen. Die jüdisch-christliche Tradition geht weiter davon aus, dass
Mann und Frau beide nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind und deshalb eben-
bürtig sind, d. h. die gleichen Personenwürde besitzen.

16 Vgl. J. Ratzinger, Der Dialog der Religionen und das jüdisch-christliche Verhältnis, in: Gesam-
melte Schriften Bd. 8/1, 1128f.
 
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