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ANTRITTSREDEN
christlichen Kontext innerhalb der Geschichte katholischer Moraltheologie aufzu-
zeigen, die das Methodenbewusstsein und die Arbeitsweise meiner Disziplin bis
heute bestimmt.
Nach der Promotion bewegte ich mich in einer gewissen Unbekümmertheit
gegenüber den eingebürgerten Gepflogenheiten akademischer Fächerkulturen als
Grenzgänger auf dem Gebiet der Dogmatik. Ich wurde Assistent des späteren
Rottenburger Bischofs und Kurienkardinals Walter Kasper. Die Lehrjahre in der
Dogmatik sollten keine Abkehr von der theologischen Ethik einleiten; ich betrach-
tete sie damals und erst recht von heute aus nicht einmal als einen Umweg, sondern
als die Chance, mir ein breiteres Fundament in der systematischen Theologie zu er-
arbeiten. In der Auswahl des Habilitationsprojektes ließ ich mich von meiner Vor-
liebe für die Theologie der Kirchenväter leiten, die ich schon während des Studiums
als eine Art privates Hobby entwickelt hatte. Ich untersuchte die Freiheitslehre des
Origenes und ihre Bedeutung für eine Theologie des christlichen Handelns.
Die Beschäftigung mit Origenes ist für jeden, der sich auf seinen Denkweg
einlässt, immer auch em Rückgang zu dem, was Heidegger die „Anhänglichkeit“ des
Fragens nannte. Die persönliche Denkform, die Origenes in seiner Grundlagen-
schrift, aber auch in seinen Bibelkommentaren und geistlichen Homilien entwickelt,
zielt nicht auf dogmatische Grenzziehungen oder bekenntnishafte Lehrsätze, sondern
auf ein probeweises Geltenlassen theoretischer Annahmen, auf ein Ausloten kühner
Gedankengänge, bei dem erreichte Ergebnisse sofort wieder problematisiert werden
und in neue Fragestellungen münden. So steht Origenes neben Thomas als ein heil-
samer Mahner vor allzu schnellen passgenauen Antworten innerhalb eines geschlos-
senen Denkensystems, das er als Darstellungsform seines christlichen Glaubens für
ungeeignet hielt.
Origenes erwies sich mir jedoch nicht nur aufgrund seines Ethos eines unab-
geschlossenen Fragens undVerwerfens als überaus anregender Gesprächspartner über
den Abstand der Zeiten hinweg. Die Ausgangslage in der Dreieckskonstellation von
akademischer Philosophie, elitärer Gnosis und christlicher Kirche, in der er der intel-
lektuellen Selbstbehauptung des Christentums in der Spätantike den Weg bereitete,
gleicht in vielen der geistigen Signatur unserer Zeit. Auch heute ist das Christentum
nicht nur durch den philosophischen Skeptizismus, sondern auch — gewissermaßen
von der anderen Seite her - durch esoterische Frömmigkeitsformen und synkretisti-
sche Rehgionsvorstellungen herausgefordert.
Im Jahre 1990 wurde ich nach Regensburg berufen, wo ich auf ein sehr auf-
geschlossenes Umfeld traf, nicht nur was die bayrische Lebensart anbelangte, sondern
auch hinsichtlich der intellektuellen Aufgeschlossenheit und des Vertrauens, das alle
— vom Bischof angefangen bis zu den Studierenden - einem jungen Professor aus
Tübingen entgegenbrachten. Der Wechsel nach Freiburg vier Jahre später war ein
abermaliger Aufbruch, den ich als besondere Chance empfand; dennoch kam er
eigentlich zu früh, da ich gerne noch einige Jahre an der Donau geblieben wäre. In
der Rückschau waren die Regensburger Jahre für mich vor allem deshalb eine
glückliche Zeit, weil ich dort unbelastet von administrativen Aufgaben innerhalb der
akademischen Selbstverwaltung und ohne irgendwelche Anträge auf Forschungs-
ANTRITTSREDEN
christlichen Kontext innerhalb der Geschichte katholischer Moraltheologie aufzu-
zeigen, die das Methodenbewusstsein und die Arbeitsweise meiner Disziplin bis
heute bestimmt.
Nach der Promotion bewegte ich mich in einer gewissen Unbekümmertheit
gegenüber den eingebürgerten Gepflogenheiten akademischer Fächerkulturen als
Grenzgänger auf dem Gebiet der Dogmatik. Ich wurde Assistent des späteren
Rottenburger Bischofs und Kurienkardinals Walter Kasper. Die Lehrjahre in der
Dogmatik sollten keine Abkehr von der theologischen Ethik einleiten; ich betrach-
tete sie damals und erst recht von heute aus nicht einmal als einen Umweg, sondern
als die Chance, mir ein breiteres Fundament in der systematischen Theologie zu er-
arbeiten. In der Auswahl des Habilitationsprojektes ließ ich mich von meiner Vor-
liebe für die Theologie der Kirchenväter leiten, die ich schon während des Studiums
als eine Art privates Hobby entwickelt hatte. Ich untersuchte die Freiheitslehre des
Origenes und ihre Bedeutung für eine Theologie des christlichen Handelns.
Die Beschäftigung mit Origenes ist für jeden, der sich auf seinen Denkweg
einlässt, immer auch em Rückgang zu dem, was Heidegger die „Anhänglichkeit“ des
Fragens nannte. Die persönliche Denkform, die Origenes in seiner Grundlagen-
schrift, aber auch in seinen Bibelkommentaren und geistlichen Homilien entwickelt,
zielt nicht auf dogmatische Grenzziehungen oder bekenntnishafte Lehrsätze, sondern
auf ein probeweises Geltenlassen theoretischer Annahmen, auf ein Ausloten kühner
Gedankengänge, bei dem erreichte Ergebnisse sofort wieder problematisiert werden
und in neue Fragestellungen münden. So steht Origenes neben Thomas als ein heil-
samer Mahner vor allzu schnellen passgenauen Antworten innerhalb eines geschlos-
senen Denkensystems, das er als Darstellungsform seines christlichen Glaubens für
ungeeignet hielt.
Origenes erwies sich mir jedoch nicht nur aufgrund seines Ethos eines unab-
geschlossenen Fragens undVerwerfens als überaus anregender Gesprächspartner über
den Abstand der Zeiten hinweg. Die Ausgangslage in der Dreieckskonstellation von
akademischer Philosophie, elitärer Gnosis und christlicher Kirche, in der er der intel-
lektuellen Selbstbehauptung des Christentums in der Spätantike den Weg bereitete,
gleicht in vielen der geistigen Signatur unserer Zeit. Auch heute ist das Christentum
nicht nur durch den philosophischen Skeptizismus, sondern auch — gewissermaßen
von der anderen Seite her - durch esoterische Frömmigkeitsformen und synkretisti-
sche Rehgionsvorstellungen herausgefordert.
Im Jahre 1990 wurde ich nach Regensburg berufen, wo ich auf ein sehr auf-
geschlossenes Umfeld traf, nicht nur was die bayrische Lebensart anbelangte, sondern
auch hinsichtlich der intellektuellen Aufgeschlossenheit und des Vertrauens, das alle
— vom Bischof angefangen bis zu den Studierenden - einem jungen Professor aus
Tübingen entgegenbrachten. Der Wechsel nach Freiburg vier Jahre später war ein
abermaliger Aufbruch, den ich als besondere Chance empfand; dennoch kam er
eigentlich zu früh, da ich gerne noch einige Jahre an der Donau geblieben wäre. In
der Rückschau waren die Regensburger Jahre für mich vor allem deshalb eine
glückliche Zeit, weil ich dort unbelastet von administrativen Aufgaben innerhalb der
akademischen Selbstverwaltung und ohne irgendwelche Anträge auf Forschungs-