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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

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I. Das Geschäftsjahr 2010
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Antrittsreden
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Eberhard, Schockenhoff: Antrittsrede von Herrn Eberhard Schockenhoff an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 23. Januar 2010
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https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0185
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Eberhard Schockenhoff

201

gelder stellen zu müssen, in die Grundlagen meines Faches eindringen konnte und
neben der Ausarbeitung meiner Hauptvorlesungen auch noch die Fundamente für
langfristige Forschungsprojekte legen konnte.
Aufschlussreich war für mich die Erfahrung, wie schnell sich Vorurteile
gegenüber anderen akademischen Standorten, die sich in unseren Köpfen während
der Tübinger Studienzeit aufgebaut hatten, in der Begegnung mit der Realität auf-
lösten. Ich merkte sehr bald, dass auch anderswo akademische Freiheit herrscht, was
zuvor aus Tübinger Perspektive durchaus ungewiss erschien. Heute muss ich über
mich selber lachen, wenn ich daran zurückdenke, mit welcher Selbstgefälligkeit wir
als Studenten und noch im Assistentenkreis die Überzeugung teilten, dass Tübingen
nicht nur em Hort der Liberalität, sondern im Grunde der einzige Ort war, an dem
man — zumindest auf dem Feld der katholischen Theologie — ohne innere Scheu-
klappen und äußeren Zwang frei denken und arbeiten kann. Ich erinnere mich noch
an mein ungläubiges Erstaunen, als auf einer der ersten Sitzungen des Regensburger
Professoriums ein Kollege en passant, als erinnere er an allen bekannte Selbstver-
ständlichkeiten, von der Liberalitas Bavariae sprach. In Freiburg lernte ich dann, dass
die Wiege zumindest des politischen Liberalismus Deutschlands in Baden und näher-
hin in Südbaden liegt. Kurz: ich fand an allen akademischen Wirkungsstätten, in
Tübingen, Regensburg und Freiburg und übrigens auch während meiner Studien-
jahre an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom ein anregendes Klima
akademischer Freiheit und Unabhängigkeit, das ich bis heute als das eigentliche Pri-
vileg meines Berufes schätze.
Dankbar bin ich für die besondere historische und gesellschaftspolitische Kon-
stellation, die mir mein Wirken als akademischer Lehrer der Theologie im Raum
einer staatlichen Universität ermöglicht. Die dadurch garantierte persönliche Unab-
hängigkeit verstehe ich nicht primär als Schutzraum vor kirchlicher Einflussnahme,
was sie im Konfliktfall auch sein kann und sein muss, sondern als notwendige Platt-
form für mein öffentliches Wirken als akademischer Lehrer in und außerhalb der
Universität. Als Theologe stehe ich in einer von mir nach beiden Seiten hin bejah-
ten, doppelten Loyalität gegenüber dem Glauben der Kirche und den Ansprüchen
eines vorurteilsfreien wissenschaftlichen Ethos, das die eigene Forschungs- und
Lehrtätigkeit leiten soll. Diese doppelte Loyalitätsverpflichtung kann zu Spannungen
und Konflikten führen, sie kann aber auch ein produktiver Ansporn sein, die Grund-
lagen der eigenen wissenschaftlichen Arbeit durch historische Kritik und öffentli-
chen Vernunftgebrauch, den beiden Erkenntnisweisen der systematischen Theologie,
offenzulegen und weiter zu denken.
Der Start im theologischen Lehramt eröffnete mir in meinem Fachgebiet der
theologischen Ethik ein weites Feld neuer Herausforderungen. Im Bereich der
Fundamentalethik konnte ich in meinen systematischen Untersuchungen zur Hand-
lungstheorie, zur Freiheitslehre, zur Rolle des Gewissens als letzter Instanz persona-
ler Verantwortung und zur Grundlegung einer Tugendethik an den theologie-
geschichtlichen Vorarbeiten zu Thomas und Origenes anknüpfen. Auf den verschie-
denen Gebieten der angewandten Ethik musste ich dagegen Neuland betreten. Die
theologische Ethik versteht sich im Kanon der theologischen Einzeldisziplinen als
 
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