Das WIN-Kolleg
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heitsliteratur (Proverbien; Hiob; Jesus Sirach; Weisheit Salomons) steht der traditionel-
le Topos des weisen Alten im Zentrum der Altersthematik, der schließlich in der spä-
ten Weisheit (Weisheit Salomons) in der Reflexion über das Leiden und den vorzei-
tigen Tod des Gerechten relativiert und neu definiert wird, indem bereits einem
jung Verstorbenen Lebensklugheit und Greisenalter zugesprochen werden können
(Weish 4). Während die Altersthematik in der Psalmen- und Weisheitsliteratur eine
gewisse menschliche Allgemeingültigkeit beansprucht, rücken in den Erzelternerzäh-
lungen (Genesis 12—50) herausgehobene Figuren der Vorgeschichte Israels in den
Mittelpunkt, wie bereits an den hohen, symbolisch zu verstehenden Lebensalter-
angaben ablesbar ist, die die übliche Altersgrenze von 70—80 Jahren (vgl. Ps 90,10)
bzw. 120 Jahren (vgl. Gen 6,3) überschreiten. Für die Analyse der Altersthematik in
den Erzelternerzählungen stellt sich u.a. die Frage, wie das Thema „(Lebens-)Alter“
unter dieser besonderen Perspektive verhandelt wird.
2. Alter als Argument. Zum Gebrauch von Lebensaltertopoi in Texten der römischen Kaiserzeit
Das dem zweiten Teilprojekt zugrunde liegende Corpus setzt sich aus Texten zusam-
men, die vom späten ersten bis zum frühen dritten Jahrhundert n. Chr. entstanden
sind und die Selbst- und Fremddarstellung philosophischer und religiöser Figuren
erkennen lassen. Es umfasst neben Reden und Biographien solcher der rhetorischen
Bewegung der Zweiten Sophistik nahe stehender Autoren wie Apuleius und Luki-
an auch Texte der Kaiserpanegyrik und der christlichen Märtyrerliteratur. Welche
Rolle das Lebensalter als Argument in den in diesem Textcorpus greifbaren Legiti-
mationsdiskursen spielt, inwiefern Spannungen zwischen den Altersstufensemantiken
verschiedener Diskurse - religiöser, philosophischer und derjenigen der einzelnen
literarischen Gattungen — auftreten und pragmatisiert werden, ist Gegenstand dieser
Untersuchung.
Während in den bisherigen Fallstudien die literarische Inszenierung philoso-
phisch Argumentierender und sich als Philosophen Stilisierender von Bedeutung war,
wie in der Apologie des Apuleius oder in Biographien des Lukian, rücken die zuletzt
betrachteten Texte primär als religiös zu bezeichnende Figuren ms Zentrum. Bei aller
Diversität der untersuchten Texte und der in ihnen in Szene Gesetzten — darunter sind
ein sakralisierter Kaiser, ein Isispriester sowie christliche Märtyrer — lassen sich doch
gemeinsame Strategien im Umgang mit den Lebensaltertopiken ausmachen.
Der in panegyrischen Gedichten des Statius und Martial verherrlichte Kaiser
muss die Schwelle von der iuventus zur senectus nicht überschreiten — diese Aus-
dehnung einer Lebensphase erinnert an eutopische Zeitordnungen — Alterszäsuren
sind für ihn aufgehoben. Der physische Alterungsprozess des Isispriesters und
Erzählers eines Romanes des Apuleius — seiner Metamorphosen — wird durch spiritu-
elle Veränderungen im Zuge diverser Statuswechsel überlagert, die mithilfe einer
Metaphorik von Reinigung veranschaulicht werden. Die gewaltsamen Tode der
Märtyrer bedingen einen von der Norm abweichenden letzten Lebensabschnitt, in
dessen Erzählung zum Beispiel einer Jugendlichen die Autorität des Alters zuge-
schrieben werden kann (Passio Perpetuae).
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heitsliteratur (Proverbien; Hiob; Jesus Sirach; Weisheit Salomons) steht der traditionel-
le Topos des weisen Alten im Zentrum der Altersthematik, der schließlich in der spä-
ten Weisheit (Weisheit Salomons) in der Reflexion über das Leiden und den vorzei-
tigen Tod des Gerechten relativiert und neu definiert wird, indem bereits einem
jung Verstorbenen Lebensklugheit und Greisenalter zugesprochen werden können
(Weish 4). Während die Altersthematik in der Psalmen- und Weisheitsliteratur eine
gewisse menschliche Allgemeingültigkeit beansprucht, rücken in den Erzelternerzäh-
lungen (Genesis 12—50) herausgehobene Figuren der Vorgeschichte Israels in den
Mittelpunkt, wie bereits an den hohen, symbolisch zu verstehenden Lebensalter-
angaben ablesbar ist, die die übliche Altersgrenze von 70—80 Jahren (vgl. Ps 90,10)
bzw. 120 Jahren (vgl. Gen 6,3) überschreiten. Für die Analyse der Altersthematik in
den Erzelternerzählungen stellt sich u.a. die Frage, wie das Thema „(Lebens-)Alter“
unter dieser besonderen Perspektive verhandelt wird.
2. Alter als Argument. Zum Gebrauch von Lebensaltertopoi in Texten der römischen Kaiserzeit
Das dem zweiten Teilprojekt zugrunde liegende Corpus setzt sich aus Texten zusam-
men, die vom späten ersten bis zum frühen dritten Jahrhundert n. Chr. entstanden
sind und die Selbst- und Fremddarstellung philosophischer und religiöser Figuren
erkennen lassen. Es umfasst neben Reden und Biographien solcher der rhetorischen
Bewegung der Zweiten Sophistik nahe stehender Autoren wie Apuleius und Luki-
an auch Texte der Kaiserpanegyrik und der christlichen Märtyrerliteratur. Welche
Rolle das Lebensalter als Argument in den in diesem Textcorpus greifbaren Legiti-
mationsdiskursen spielt, inwiefern Spannungen zwischen den Altersstufensemantiken
verschiedener Diskurse - religiöser, philosophischer und derjenigen der einzelnen
literarischen Gattungen — auftreten und pragmatisiert werden, ist Gegenstand dieser
Untersuchung.
Während in den bisherigen Fallstudien die literarische Inszenierung philoso-
phisch Argumentierender und sich als Philosophen Stilisierender von Bedeutung war,
wie in der Apologie des Apuleius oder in Biographien des Lukian, rücken die zuletzt
betrachteten Texte primär als religiös zu bezeichnende Figuren ms Zentrum. Bei aller
Diversität der untersuchten Texte und der in ihnen in Szene Gesetzten — darunter sind
ein sakralisierter Kaiser, ein Isispriester sowie christliche Märtyrer — lassen sich doch
gemeinsame Strategien im Umgang mit den Lebensaltertopiken ausmachen.
Der in panegyrischen Gedichten des Statius und Martial verherrlichte Kaiser
muss die Schwelle von der iuventus zur senectus nicht überschreiten — diese Aus-
dehnung einer Lebensphase erinnert an eutopische Zeitordnungen — Alterszäsuren
sind für ihn aufgehoben. Der physische Alterungsprozess des Isispriesters und
Erzählers eines Romanes des Apuleius — seiner Metamorphosen — wird durch spiritu-
elle Veränderungen im Zuge diverser Statuswechsel überlagert, die mithilfe einer
Metaphorik von Reinigung veranschaulicht werden. Die gewaltsamen Tode der
Märtyrer bedingen einen von der Norm abweichenden letzten Lebensabschnitt, in
dessen Erzählung zum Beispiel einer Jugendlichen die Autorität des Alters zuge-
schrieben werden kann (Passio Perpetuae).