358 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES
Die religiösen Protagonisten der Texte weichen also von einem in tradierten
Beschreibungsmustern fassbaren Lebenslauf ab, topische Alterszuschreibungen gelten
für sie zum Teil nicht oder werden im Zuge ihrer literarischen Darstellung resignifi-
ziert.
Identität und Differenz. Genealogie und Lebensalter im vormodernen Erzählen
Die Fragestellung des mediävistischen Projekts zielt darauf, welche Strategien im
vormodernen Erzählen zur narrativen Variation von Zeit und Lebensaltern bereit-
stehen und welche Möglichkeiten sich aus einer Kombination der Lebensalterdar-
stellung mit dem Denkmuster der Genealogie ergeben. Aus der bisherigen Projekt-
arbeit hat sich die These entwickelt, dass gerade die Verknüpfung der beiden Diskurse
einen produktiven Darstellungsraum eröffnet und die Kombination aus Veränderung
und Kontinuität zu einem wichtigen Erschließungsinstrument für den Bereich der
Figurendarstellung, insbesondere der personalen Identität in der Vormoderne wird.
In der Analyse mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Romane wurde gefragt, inwie-
fern sich aus der Abweichung von einem normierten Lebenslauf produktive literari-
sche Transgressionseffekte ergeben.
So findet sich im >Tristan< Gottfrieds von Straßburg und im >Parzival< Wolframs
von Eschenbach das Konstrukt einer verlängerten Kindheit bzw. Jugendzeit, indem
Parzival auch noch als Gralskönig seine kindliche tumpheit behält und Tristans
Schwertleite ungewöhnlich spät gefeiert wird. Beide Abweichungen vom „Normle-
benslauf1 offenbaren em soziales Konfliktpotential, das zum Ansatzpunkt für eine
individuelle Figurengestaltung wird. Die normierte Zeitlinie der Lebensalter kann
dabei in beide Richtungen transgrediert werden, denn Tristan ist als begabtes Wun-
derkind allen anderen voraus, zögert zugleich aber zentrale Lebensstationen wie
Schwertleite und Heirat auffällig lange hinaus. Da solche Abweichungen von der
Norm einen erhöhten narrativen Aufwand erfordern, wurde in der Analyse ein
Schwerpunkt auf Reflexionen und Kommentare der Erzählerfigur gelegt. Der
Erzähler vermittelt den herausragenden Einzelfall mit der Norm des lebensweltli-
chen Alltagswissen und kann dabei auch alternative topische Muster in die Diskus-
sion bringen. So wird die Abweichung vom Schema sekundär durch den Erzähler
normiert, wenn er dem Rezipienten den jungen Tristan über das antike Muster des
puer senex verständlich macht.
Als Beispiel für den frühneuzeitlichen Umgang mit Lebensaltermodellen und
der genealogischen Verknüpfung einzelner Figuren über mehrere Generationen kann
der Prosaroman „Melusine“ Thürings von Ringoltingen dienen. Vor der Textanalyse
wurden in Absetzung vom mittelalterlichen Erzählen spezifische Kriterien des früh-
neuzeitlichen Prosaromans erarbeitet, wobei vor allem das Zurücktreten der kom-
mentierenden Erzählerfigur sowie die stärkere rationale Motivierung zu nennen
sind. Für die Melusine-Figur konnte gezeigt werden, wie die zehn Söhne über die
Generationengrenze hinweg zur Konturierung der Ausgangsfigur beitragen und wie
die spät in der Erzählfolge nachgetragene Jugendgeschichte der Fee die auf der linea-
ren Zeitschiene geleistete Charakterisierung ebenso ergänzt wie konterkariert.
Die religiösen Protagonisten der Texte weichen also von einem in tradierten
Beschreibungsmustern fassbaren Lebenslauf ab, topische Alterszuschreibungen gelten
für sie zum Teil nicht oder werden im Zuge ihrer literarischen Darstellung resignifi-
ziert.
Identität und Differenz. Genealogie und Lebensalter im vormodernen Erzählen
Die Fragestellung des mediävistischen Projekts zielt darauf, welche Strategien im
vormodernen Erzählen zur narrativen Variation von Zeit und Lebensaltern bereit-
stehen und welche Möglichkeiten sich aus einer Kombination der Lebensalterdar-
stellung mit dem Denkmuster der Genealogie ergeben. Aus der bisherigen Projekt-
arbeit hat sich die These entwickelt, dass gerade die Verknüpfung der beiden Diskurse
einen produktiven Darstellungsraum eröffnet und die Kombination aus Veränderung
und Kontinuität zu einem wichtigen Erschließungsinstrument für den Bereich der
Figurendarstellung, insbesondere der personalen Identität in der Vormoderne wird.
In der Analyse mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Romane wurde gefragt, inwie-
fern sich aus der Abweichung von einem normierten Lebenslauf produktive literari-
sche Transgressionseffekte ergeben.
So findet sich im >Tristan< Gottfrieds von Straßburg und im >Parzival< Wolframs
von Eschenbach das Konstrukt einer verlängerten Kindheit bzw. Jugendzeit, indem
Parzival auch noch als Gralskönig seine kindliche tumpheit behält und Tristans
Schwertleite ungewöhnlich spät gefeiert wird. Beide Abweichungen vom „Normle-
benslauf1 offenbaren em soziales Konfliktpotential, das zum Ansatzpunkt für eine
individuelle Figurengestaltung wird. Die normierte Zeitlinie der Lebensalter kann
dabei in beide Richtungen transgrediert werden, denn Tristan ist als begabtes Wun-
derkind allen anderen voraus, zögert zugleich aber zentrale Lebensstationen wie
Schwertleite und Heirat auffällig lange hinaus. Da solche Abweichungen von der
Norm einen erhöhten narrativen Aufwand erfordern, wurde in der Analyse ein
Schwerpunkt auf Reflexionen und Kommentare der Erzählerfigur gelegt. Der
Erzähler vermittelt den herausragenden Einzelfall mit der Norm des lebensweltli-
chen Alltagswissen und kann dabei auch alternative topische Muster in die Diskus-
sion bringen. So wird die Abweichung vom Schema sekundär durch den Erzähler
normiert, wenn er dem Rezipienten den jungen Tristan über das antike Muster des
puer senex verständlich macht.
Als Beispiel für den frühneuzeitlichen Umgang mit Lebensaltermodellen und
der genealogischen Verknüpfung einzelner Figuren über mehrere Generationen kann
der Prosaroman „Melusine“ Thürings von Ringoltingen dienen. Vor der Textanalyse
wurden in Absetzung vom mittelalterlichen Erzählen spezifische Kriterien des früh-
neuzeitlichen Prosaromans erarbeitet, wobei vor allem das Zurücktreten der kom-
mentierenden Erzählerfigur sowie die stärkere rationale Motivierung zu nennen
sind. Für die Melusine-Figur konnte gezeigt werden, wie die zehn Söhne über die
Generationengrenze hinweg zur Konturierung der Ausgangsfigur beitragen und wie
die spät in der Erzählfolge nachgetragene Jugendgeschichte der Fee die auf der linea-
ren Zeitschiene geleistete Charakterisierung ebenso ergänzt wie konterkariert.