19. Februar 2000
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zeitigem Besuch eines Abendgymnasiums wollte ich jedoch noch nicht direkt zur Uni-
versität gehen, sondern studierte zunächst an der Ingenieurschule Essen Chemie.
Damals - wir sprechen von den sechziger Jahren - war ein Übergang zu einem Studium
an einer Hochschule keineswegs trivial.
An der Universität Münster fand ich jedoch ein sehr aufgeschlossenes Klima.
Obwohl auch dort nicht über Anerkennung von Studienleistungen geredet wurde,
konnte ich nach zweieinhalb Jahren das Hauptexamen ablegen. Danach wurde es
weniger einfach, da nun die Entscheidung zu fällen war, in welchem Fach die Diplom-
und Doktorarbeit durchgeführt werden sollten. Seinerzeit galt die Anorganische Che-
mie in Münster als Paradepferd. Aus dem Münsteraner Institut, das nach 1949 von W.
Klemm aufgebaut wurde, kamen in der Zeit danach sehr wesentliche Impulse für das
Fach. Professoren wie H. Schäfer, H. G. von Schnering und H. J. Becher gehörten aus
meiner Sicht zum Besten, was man sich vorstellen konnte. Diese Einschätzung habe
ich auch noch heute, und ich kann sagen, dass mich diese Zeit sehr stark geprägt hat.
Münster ist für mich ein Ort, an dem sich die Beharrlichkeit und Sturheit, die man dem
Westfalen nachsagt, mit der Toleranz und Zielstrebigkeit der Preußen vereinigt hat. In
dem erwähnten Institut kamen alle Tugenden zusammen. Dies ging so weit, dass sich
auch nach der Doktorarbeit keineswegs die Frage stellte, ob ein Ortswechsel anzu-
streben sei. In Münster bot das Institut alle wünschenswerten Voraussetzungen für
eine Habilitation. Damals gab es natürlich noch nicht den „Berufsstand“ des Habili-
tanden. Ich erinnere mich noch sehr genau an das Ende meiner Doktorarbeit. Seiner-
zeit fragte mich mein Lehrer H. J. Becher, ob ich nicht noch Lust hätte, eine Zeit am
Institut zu arbeiten.
Tiefen Eindruck hat bei mir der frühe Tod von H. J. Becher hinterlassen. Ganz
plötzlich hatte ich als junger Mann eine nicht ganz einfache Situation zu bewältigen.
Ich bin nicht ganz sicher, warum es nach meiner Habilitation rasch weiter ging. 1981
erhielt ich einen Ruf nach Karlsruhe. Von dort wechselte ich 1986 nach Frankfurt und
bereits 1988 konnte ich zurück nach Karlsruhe gehen. Rufe nach Marburg und Mün-
ster habe ich ablehnen können, weil es damals im „Musterländle“ bessere Bedingun-
gen für die Forschung gab. Sie wissen, dass sich dies in den letzten Jahren nicht als eine
verlässliche Größe erwiesen hat. Trotz gegenteiliger Beteuerungen hat sich das Klima
an den Hochschulen deutlich verändert. Heute bestimmen Fragen wie Auslastung,
nationale Evaluation und Drittmittel die Landschaft. Dies wird immer mit dem Hin-
weis auf die Standards anderer Staaten gemacht. Ich glaube aber nicht daran, dass dies
der richtige Weg ist. Vielmehr bin ich fest davon überzeugt, dass die Förderung der
Hochschulen eine Pflicht des Staates ist, der ja schließlich auch der Nutznießer des
Erfolges sein wird.
Zunehmend belastend finde ich die Koppelung von Auslastung eines Faches und
seiner Bedeutung in der Hochschullandschaft. Dies trifft nicht nur das Fach Chemie,
sondern auch die Physik, die Ingenieur- und Geisteswissenschaften. Aus mir völlig
unverständlichen Gründen sinkt das Interesse der Studierenden an den Fächern, die
sicher von großer Bedeutung sind. Um eine Trendwende zu erreichen, bedarf es gewiß
großer Anstrengungen, die wir auch unbedingt einsetzen sollten. Ich habe zwar noch
nicht an vielen Sitzungen der Akademie teilnehmen können. Mein Gefühl ist aber, dass
wir in dieser Hinsicht die Sorgen teilen.
Man sollte nicht mit pessimistischen Einschätzungen schließen. Dazu gibt es auch
keinen Grund. Insbesondere in Karlsruhe finde ich eine optimistische Stimmung vor,
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zeitigem Besuch eines Abendgymnasiums wollte ich jedoch noch nicht direkt zur Uni-
versität gehen, sondern studierte zunächst an der Ingenieurschule Essen Chemie.
Damals - wir sprechen von den sechziger Jahren - war ein Übergang zu einem Studium
an einer Hochschule keineswegs trivial.
An der Universität Münster fand ich jedoch ein sehr aufgeschlossenes Klima.
Obwohl auch dort nicht über Anerkennung von Studienleistungen geredet wurde,
konnte ich nach zweieinhalb Jahren das Hauptexamen ablegen. Danach wurde es
weniger einfach, da nun die Entscheidung zu fällen war, in welchem Fach die Diplom-
und Doktorarbeit durchgeführt werden sollten. Seinerzeit galt die Anorganische Che-
mie in Münster als Paradepferd. Aus dem Münsteraner Institut, das nach 1949 von W.
Klemm aufgebaut wurde, kamen in der Zeit danach sehr wesentliche Impulse für das
Fach. Professoren wie H. Schäfer, H. G. von Schnering und H. J. Becher gehörten aus
meiner Sicht zum Besten, was man sich vorstellen konnte. Diese Einschätzung habe
ich auch noch heute, und ich kann sagen, dass mich diese Zeit sehr stark geprägt hat.
Münster ist für mich ein Ort, an dem sich die Beharrlichkeit und Sturheit, die man dem
Westfalen nachsagt, mit der Toleranz und Zielstrebigkeit der Preußen vereinigt hat. In
dem erwähnten Institut kamen alle Tugenden zusammen. Dies ging so weit, dass sich
auch nach der Doktorarbeit keineswegs die Frage stellte, ob ein Ortswechsel anzu-
streben sei. In Münster bot das Institut alle wünschenswerten Voraussetzungen für
eine Habilitation. Damals gab es natürlich noch nicht den „Berufsstand“ des Habili-
tanden. Ich erinnere mich noch sehr genau an das Ende meiner Doktorarbeit. Seiner-
zeit fragte mich mein Lehrer H. J. Becher, ob ich nicht noch Lust hätte, eine Zeit am
Institut zu arbeiten.
Tiefen Eindruck hat bei mir der frühe Tod von H. J. Becher hinterlassen. Ganz
plötzlich hatte ich als junger Mann eine nicht ganz einfache Situation zu bewältigen.
Ich bin nicht ganz sicher, warum es nach meiner Habilitation rasch weiter ging. 1981
erhielt ich einen Ruf nach Karlsruhe. Von dort wechselte ich 1986 nach Frankfurt und
bereits 1988 konnte ich zurück nach Karlsruhe gehen. Rufe nach Marburg und Mün-
ster habe ich ablehnen können, weil es damals im „Musterländle“ bessere Bedingun-
gen für die Forschung gab. Sie wissen, dass sich dies in den letzten Jahren nicht als eine
verlässliche Größe erwiesen hat. Trotz gegenteiliger Beteuerungen hat sich das Klima
an den Hochschulen deutlich verändert. Heute bestimmen Fragen wie Auslastung,
nationale Evaluation und Drittmittel die Landschaft. Dies wird immer mit dem Hin-
weis auf die Standards anderer Staaten gemacht. Ich glaube aber nicht daran, dass dies
der richtige Weg ist. Vielmehr bin ich fest davon überzeugt, dass die Förderung der
Hochschulen eine Pflicht des Staates ist, der ja schließlich auch der Nutznießer des
Erfolges sein wird.
Zunehmend belastend finde ich die Koppelung von Auslastung eines Faches und
seiner Bedeutung in der Hochschullandschaft. Dies trifft nicht nur das Fach Chemie,
sondern auch die Physik, die Ingenieur- und Geisteswissenschaften. Aus mir völlig
unverständlichen Gründen sinkt das Interesse der Studierenden an den Fächern, die
sicher von großer Bedeutung sind. Um eine Trendwende zu erreichen, bedarf es gewiß
großer Anstrengungen, die wir auch unbedingt einsetzen sollten. Ich habe zwar noch
nicht an vielen Sitzungen der Akademie teilnehmen können. Mein Gefühl ist aber, dass
wir in dieser Hinsicht die Sorgen teilen.
Man sollte nicht mit pessimistischen Einschätzungen schließen. Dazu gibt es auch
keinen Grund. Insbesondere in Karlsruhe finde ich eine optimistische Stimmung vor,