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Sitzungen
sophie (Kant), Physik und Mathematik haben den absoluten Raumbegriff aufgegeben.
Vor 200 Jahren waren die Raumvorstellungen sehr verschieden von heute, und wahr-
scheinlich wird sich der mathematische Raumbegriff in den nächsten 100 Jahren wie-
der verändern. Da es keinen absoluten Raum mehr gibt, gibt es auch keine eindeutige
mathematische Antwort mehr. Das heißt, es gibt eine äußerst komplexe Ansammlung
von mathematischen Räumen. Auf diesem Hintergrund wird die Frage, wie erkennt
man einen Raum, wie klassifiziert man Räume, relevant. Ich finde dieses Thema
äußerst spannend und bin dankbar, die Entwicklung mitverfolgen und das eine oder
andere Farbtiipfelchen beisteuern zu können.
Ich habe mich vorhin als Linken zu erkennen gegeben. Es ist für mich ungewohnt,
in einigen Fragen durch die Entwicklung der Gesellschaft auf die konservative Seite
verschlagen zu werden. Plakativ gesagt, hat das mit der Veränderung einiger Grund-
werte zu tun, die ich an einigen Stellen, z.B. bei Moralvorstellungen, weitgehend
begrüße, an anderen Stellen aber ablehne. Beispiel für einen solchen Werteverfall ist die
Veränderung der Anforderungen an Wissenschaft. Wenn Politiker, aber auch viele aus
unseren eigenen Reihen, heute von Wissenschaft sprechen, meinen sie eigentlich „Nut-
zenschaft“. Statt Wissen zu schaffen sollen wir mehr und mehr unmittelbaren Nutzen
schaffen. Ich halte diese Entwicklung für einen kulturellen Rückschritt, für den aber
langfristig auch ökonomisch wahrscheinlich ein hoher Preis gezahlt wird. Eine Kom-
mission der Akademie hat über die Zukunft der Universitäten nachgedacht. Das ist
eine spannende Aufgabe, mit der wir uns nach meiner Meinung aber überfordern. Was
wir jedoch leisten könnten, wäre eine Diskussion über Grundwerte von Wissenschaft
und, wenn wir zu einer Einigung kommen, diese vielleicht in einem kurzen Appell zu
formulieren.
Neben spannenden fachübergreifenden Vorträgen sind es solche Diskussionen, die
für mich den Reiz der Akademie ausmachen. Ich möchte mich für das Vertrauen, das
Sie mir mit der Wahl in die Akademie entgegengebracht haben, herzlich bedanken.
6. Herr Hans-J. Specht (Heidelberg) hält seine Antrittsrede.
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Sie haben mich vor einiger Zeit zum Mitglied Ihrer Akademie gewählt. Dies ist eine
hohe Ehre und eine große Freude zugleich. Eher gemischte Gefühle verknüpfen sich
allerdings mit der ersten Konsequenz aus Ihrer Wahl - der heute anstehenden Selbst-
darstellung. Über harte wissenschaftliche Fakten zu reden fällt mir nun einmal leich-
ter als über subjektive Aspekte, Menschen oder gar über mich selbst, von der
zugehörigen Erfahrung ganz abgesehen.
Geboren 1936 in einem kleinen Nest in Westfalen, wuchs ich relativ ungestört von
den Wirren der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit in ländlicher Umgebung
auf. Auch die Gymnasialzeit in Kamen änderte wenig an dieser Provinzialität. Wie ich
zur Physik kam, liegt eher im Dunkeln. In beiden Zweigen der Vorfahren gab es bis
heute eine bunte Mischung von Bauern (vor Generationen), Lehrern, Selbständigen,
Juristen und Medizinern, aber keinen Naturwissenschaftler. In meiner Jugend interes-
sierte mich vieles: Astronomie (mit selbstgebauten Fernrohren), Chemie (mit im
Nachhinein ziemlich riskanten Experimenten), Elektronik (mit Basteleien von Radios
Sitzungen
sophie (Kant), Physik und Mathematik haben den absoluten Raumbegriff aufgegeben.
Vor 200 Jahren waren die Raumvorstellungen sehr verschieden von heute, und wahr-
scheinlich wird sich der mathematische Raumbegriff in den nächsten 100 Jahren wie-
der verändern. Da es keinen absoluten Raum mehr gibt, gibt es auch keine eindeutige
mathematische Antwort mehr. Das heißt, es gibt eine äußerst komplexe Ansammlung
von mathematischen Räumen. Auf diesem Hintergrund wird die Frage, wie erkennt
man einen Raum, wie klassifiziert man Räume, relevant. Ich finde dieses Thema
äußerst spannend und bin dankbar, die Entwicklung mitverfolgen und das eine oder
andere Farbtiipfelchen beisteuern zu können.
Ich habe mich vorhin als Linken zu erkennen gegeben. Es ist für mich ungewohnt,
in einigen Fragen durch die Entwicklung der Gesellschaft auf die konservative Seite
verschlagen zu werden. Plakativ gesagt, hat das mit der Veränderung einiger Grund-
werte zu tun, die ich an einigen Stellen, z.B. bei Moralvorstellungen, weitgehend
begrüße, an anderen Stellen aber ablehne. Beispiel für einen solchen Werteverfall ist die
Veränderung der Anforderungen an Wissenschaft. Wenn Politiker, aber auch viele aus
unseren eigenen Reihen, heute von Wissenschaft sprechen, meinen sie eigentlich „Nut-
zenschaft“. Statt Wissen zu schaffen sollen wir mehr und mehr unmittelbaren Nutzen
schaffen. Ich halte diese Entwicklung für einen kulturellen Rückschritt, für den aber
langfristig auch ökonomisch wahrscheinlich ein hoher Preis gezahlt wird. Eine Kom-
mission der Akademie hat über die Zukunft der Universitäten nachgedacht. Das ist
eine spannende Aufgabe, mit der wir uns nach meiner Meinung aber überfordern. Was
wir jedoch leisten könnten, wäre eine Diskussion über Grundwerte von Wissenschaft
und, wenn wir zu einer Einigung kommen, diese vielleicht in einem kurzen Appell zu
formulieren.
Neben spannenden fachübergreifenden Vorträgen sind es solche Diskussionen, die
für mich den Reiz der Akademie ausmachen. Ich möchte mich für das Vertrauen, das
Sie mir mit der Wahl in die Akademie entgegengebracht haben, herzlich bedanken.
6. Herr Hans-J. Specht (Heidelberg) hält seine Antrittsrede.
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Sie haben mich vor einiger Zeit zum Mitglied Ihrer Akademie gewählt. Dies ist eine
hohe Ehre und eine große Freude zugleich. Eher gemischte Gefühle verknüpfen sich
allerdings mit der ersten Konsequenz aus Ihrer Wahl - der heute anstehenden Selbst-
darstellung. Über harte wissenschaftliche Fakten zu reden fällt mir nun einmal leich-
ter als über subjektive Aspekte, Menschen oder gar über mich selbst, von der
zugehörigen Erfahrung ganz abgesehen.
Geboren 1936 in einem kleinen Nest in Westfalen, wuchs ich relativ ungestört von
den Wirren der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit in ländlicher Umgebung
auf. Auch die Gymnasialzeit in Kamen änderte wenig an dieser Provinzialität. Wie ich
zur Physik kam, liegt eher im Dunkeln. In beiden Zweigen der Vorfahren gab es bis
heute eine bunte Mischung von Bauern (vor Generationen), Lehrern, Selbständigen,
Juristen und Medizinern, aber keinen Naturwissenschaftler. In meiner Jugend interes-
sierte mich vieles: Astronomie (mit selbstgebauten Fernrohren), Chemie (mit im
Nachhinein ziemlich riskanten Experimenten), Elektronik (mit Basteleien von Radios