9. Dezember 2000
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und Fernsteuerungen), Kernphysik (dem Pioniergeist der Zeit folgend und natürlich
nur theoretisch), und Musik - aber dies ist ein anderes Thema. Nach dem Abitur 1956
schrieb ich mich an der Universität München im Fach Physik ein mit dem Gefühl, in
der Physik am ehesten eine gemeinsame Klammer für alle meine Interessen zu finden.
Restliche Zweifel verschwanden vollends im Laufe dieses ersten Semesters, welches
ich mit regelmäßigem Herumschnuppern in Vorlesungen anderer Fakultäten (am häu-
figsten der medizinischen) eher als Studium Generale ansah. Ich habe die Wahl nie
bereut: die Faszination der puristischen wie der vielfältigen anwendungsorientierten
Aspekte des Fachs hält bis heute unvermindert an. Zugleich bot München intellektu-
ell, soziologisch und (zugegeben) auch touristisch ein Umfeld, das den jungen Stu-
denten aus der Provinz nachhaltig beeinflusste.
Die weiteren äußeren Daten sind schnell berichtet: Wechsel an die Technische Uni-
versität München, Vordiplom 1959, vorübergehendes Studium an der ETH Zürich mit
dem leider gescheiterten Versuch, theoretische Physik auf hohem Niveau zu lernen
(der Nobelpreisträger W. Pauli starb unerwartet zu Beginn des ersten Züricher Seme-
sters), Rückkehr nach München, Diplomarbeit (Abschluß 1962) und Promotion
(Abschluß 1964) bei H. Maier-Leibnitz am ersten deutschen Kernreaktor, Post-Doc-
Zeit an den Chalk River Nuclear Laboratories in Kanada 1965-1968, Rückkehr an die
Universität München, Habilitation 1970 auf der Basis der kanadischen Forschungs-
arbeiten, HS2/3-Stelle, Mitwirkung am Aufbau des Münchner Beschleuniger-Labora-
toriums, Gastsemester 1972 in Heidelberg mit der Aufgabe, die in der Tradition von
O. Haxel stehende Große Anfängervorlesung für Physik zu halten (Sie, lieber Herr
Präsident zu Putlitz, luden mich seinerzeit dazu telefonisch ein, eine unvergeßliche
Überraschung), mehrere Rufe 1973, Annahme des Rufs an das (damals II.) Physikali-
sche Institut in Heidelberg, dem ich bis heute - trotz Abwerbungsversuchen - die
Treue gehalten habe.
Was hat mich in meiner wissenschaftlichen Entwicklung bis zum Beginn der Hei-
delberger Zeit am meisten geprägt? Ich denke, es war die überragende Persönlichkeit
von H. Maier-Leibnitz und des zugehörigen Umfelds in München. Der Zeitgeist für
die Kernphysik war unvergleichlich positiver als heute. In der Grundlagenforschung
galt das Gebiet als jung mit vielen offenen Fragen, qualitativ und quantitativ. In der
Nutzung von Reaktor-Neutronen für Strukturanalysen in Festkörperphysik, Chemie
und Biologie steckte man in den Kinderschuhen, mit ständigen neuen Erfindungen
und einer entsprechend hohen Erwartungshaltung für die Zukunft. In den technischen
Anwendungen gab es zwar den Sündenfall von Hiroshima und Nagasaki und das glo-
bale Problem des Wettrüstens, aber auch eine große Euphorie für breite, friedliche
Anwendungen als Folge der ersten großen Genfer Konferenz 1955 („Peaceful Uses of
Atomic Energy“). Es wimmelte von Studenten, die von all dem Neuen von weither
angezogen wurden: in einer Momentaufnahme zu einem beliebigen Zeitpunkt bis zu
200 Diplomanden und Doktoranden gleichzeitig (wohlgemerkt in der Verantwortung
von ML und einer Handvoll Assistenten). Ich lernte zweierlei. Ich lernte zum einen
die überragende Bedeutung der Entwicklung neuer Methoden für den Gewinn neuer
Erkenntnisse in den experimentellen Naturwissenschaften (ML: „etwas Neues
machen, um etwas Neues zu sehen“), und ich lernte dies so gründlich über einige Jahre
hinweg, daß mein eigener wissenschaftlicher Ansatz davon bis heute dominiert ist. Ich
lernte zum anderen Teamarbeit, und zwar in beiden Richtungen: als junger Diplomand
im täglichen Gespräch von den Erfahreneren lernend, und als Doktorand ein halbes
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und Fernsteuerungen), Kernphysik (dem Pioniergeist der Zeit folgend und natürlich
nur theoretisch), und Musik - aber dies ist ein anderes Thema. Nach dem Abitur 1956
schrieb ich mich an der Universität München im Fach Physik ein mit dem Gefühl, in
der Physik am ehesten eine gemeinsame Klammer für alle meine Interessen zu finden.
Restliche Zweifel verschwanden vollends im Laufe dieses ersten Semesters, welches
ich mit regelmäßigem Herumschnuppern in Vorlesungen anderer Fakultäten (am häu-
figsten der medizinischen) eher als Studium Generale ansah. Ich habe die Wahl nie
bereut: die Faszination der puristischen wie der vielfältigen anwendungsorientierten
Aspekte des Fachs hält bis heute unvermindert an. Zugleich bot München intellektu-
ell, soziologisch und (zugegeben) auch touristisch ein Umfeld, das den jungen Stu-
denten aus der Provinz nachhaltig beeinflusste.
Die weiteren äußeren Daten sind schnell berichtet: Wechsel an die Technische Uni-
versität München, Vordiplom 1959, vorübergehendes Studium an der ETH Zürich mit
dem leider gescheiterten Versuch, theoretische Physik auf hohem Niveau zu lernen
(der Nobelpreisträger W. Pauli starb unerwartet zu Beginn des ersten Züricher Seme-
sters), Rückkehr nach München, Diplomarbeit (Abschluß 1962) und Promotion
(Abschluß 1964) bei H. Maier-Leibnitz am ersten deutschen Kernreaktor, Post-Doc-
Zeit an den Chalk River Nuclear Laboratories in Kanada 1965-1968, Rückkehr an die
Universität München, Habilitation 1970 auf der Basis der kanadischen Forschungs-
arbeiten, HS2/3-Stelle, Mitwirkung am Aufbau des Münchner Beschleuniger-Labora-
toriums, Gastsemester 1972 in Heidelberg mit der Aufgabe, die in der Tradition von
O. Haxel stehende Große Anfängervorlesung für Physik zu halten (Sie, lieber Herr
Präsident zu Putlitz, luden mich seinerzeit dazu telefonisch ein, eine unvergeßliche
Überraschung), mehrere Rufe 1973, Annahme des Rufs an das (damals II.) Physikali-
sche Institut in Heidelberg, dem ich bis heute - trotz Abwerbungsversuchen - die
Treue gehalten habe.
Was hat mich in meiner wissenschaftlichen Entwicklung bis zum Beginn der Hei-
delberger Zeit am meisten geprägt? Ich denke, es war die überragende Persönlichkeit
von H. Maier-Leibnitz und des zugehörigen Umfelds in München. Der Zeitgeist für
die Kernphysik war unvergleichlich positiver als heute. In der Grundlagenforschung
galt das Gebiet als jung mit vielen offenen Fragen, qualitativ und quantitativ. In der
Nutzung von Reaktor-Neutronen für Strukturanalysen in Festkörperphysik, Chemie
und Biologie steckte man in den Kinderschuhen, mit ständigen neuen Erfindungen
und einer entsprechend hohen Erwartungshaltung für die Zukunft. In den technischen
Anwendungen gab es zwar den Sündenfall von Hiroshima und Nagasaki und das glo-
bale Problem des Wettrüstens, aber auch eine große Euphorie für breite, friedliche
Anwendungen als Folge der ersten großen Genfer Konferenz 1955 („Peaceful Uses of
Atomic Energy“). Es wimmelte von Studenten, die von all dem Neuen von weither
angezogen wurden: in einer Momentaufnahme zu einem beliebigen Zeitpunkt bis zu
200 Diplomanden und Doktoranden gleichzeitig (wohlgemerkt in der Verantwortung
von ML und einer Handvoll Assistenten). Ich lernte zweierlei. Ich lernte zum einen
die überragende Bedeutung der Entwicklung neuer Methoden für den Gewinn neuer
Erkenntnisse in den experimentellen Naturwissenschaften (ML: „etwas Neues
machen, um etwas Neues zu sehen“), und ich lernte dies so gründlich über einige Jahre
hinweg, daß mein eigener wissenschaftlicher Ansatz davon bis heute dominiert ist. Ich
lernte zum anderen Teamarbeit, und zwar in beiden Richtungen: als junger Diplomand
im täglichen Gespräch von den Erfahreneren lernend, und als Doktorand ein halbes