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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2000 — 2001

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19. Februar 2000

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ken Zivilisation - verwirklichen konnte. Ich war weder Pfadfinder gewesen, noch
hatte ich gedient. Mir fehlte ein Abenteuer in der ungezähmten Natur, und ich fand es
als Leiter einer international zusammengesetzten Forschungsmannschaft in einem die
antiken Siedlungsreste weitgehend unberührt bewahrenden, gebirgigen Macchie-
Dschungel in der Südtürkei. Diese Feldforschungen ähnelten aber nicht nur strecken-
weise einem Überlebenstraining, sondern dienten dem ambitionierten Ziel einer mög-
lichst vollständigen Rekonstruktion der Besiedlung eines antiken Polis-Territoriums.
Es war gerade noch die Zeit für einen solchen Kraftakt, der nebenbei das Erlernen der
türkischen Sprache erforderte, und die Resultate, die gegenwärtig ins Stadium der
zusammenfassenden Darstellung eingemündet sind, ermöglichen es, die Geschichte
einer nur ca. 140 qkm großen Siedlungskammer in einer Detailliertheit ‘nachzuer-
zählen’, wie sie bisher noch keiner antiken Landschaft zuteil wurde.
Als ich zu spüren begann, daß auch meine Jugend nicht ewig währen würde, haben
Sie mich in die Akademie berufen - für mich wahrhaft unerwartet, aber wiederum
rechtzeitig. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie mir diese nie erträumte Ehre
haben zuteil werden lassen, und verspreche Ihnen, neben dem uneingeschränkten
Genuß dieses Privilegs, den bei homines novi üblicherweise besonders ausgeprägten
Korpsgeist zu pflegen.

4. Herr Fuhrmann hält einen Vortrag:
„Der Kanon der bürgerlichen Bildung und das Zeitalter der Massen“.
Die Ereignisse haben das im Jahr 1998 vorgeschlagene Thema eingeholt; der Vortra-
gende resümierte daher zunächst den Inhalt seines inzwischen erschienenen Buches
„Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters“. Dort wird der bürger-
liche Bildungkanon des 18. und 19. Jahrhunderts aus drei Hauptwurzeln abgeleitet:
aus der Rezeption der Antike, aus dem Fächer- und Lehrplan des Gymnasiums sowie
aus dem absolutistischen Fürstenhof. Zu fast allen Ressorts des Bildungskanons, wie
zur Literatur, zum Museum, zur Musik usw., gibt es gediegene Spezialuntersuchun-
gen; eine Zusammenschau hingegen wie die vom Vortragenden unternommene exi-
stierte noch nicht. Und für zwei Bereiche konnte sich dieser nicht auf gründliche Vor-
arbeiten stützen: für die Rolle des Fürstenhofs als Beiträeers zur bürgerlichen Kultur
und für die Philosophie, für deren Rezeption durch das breitere Publikum.
Der Vortragende berichtete sodann von der vielfältigen Resonanz, die dem Werk im
Blätterwald zuteil geworden war. Etliche Rezensenten hatten Mühe, die Darstellung
eines historischen Sachverhalts als solche hinzunehmen; diese war ihnen teils zu histo-
risch und teils nicht historisch genug. Dieter Schwanitz, der Verfasser des Kompendi-
ums „Bildung - Alles, was man wissen muss“, verwechselte den europäischen Bil-
dungskanon mit der klassischen deutschen Bildungsidee, und für Ulrich Greiner von
der „Zeit“ war die Betrachtungsweise des Verfassers zu „rückwärtsgewandt“.
Der dritte Teil des Vortrags suchte zu skizzieren, in welcher Gestalt der bürgerliche
Bildungskanon gegenwärtig noch existiere. Hierbei stützte sich der Vortragende auf
das Standardwerk von Gerhard Schulze: „Die Erlebnisgesellschaft - Kultursoziologie
der Gegenwart“. Die Bilanz ergab, dass mit dem Bürgertum als in sich geschlossener
Großgruppe auch die bürgerliche Bildung als verbindlicher Inbegriff von nicht an
 
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