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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2000 — 2001

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19. Februar 2000

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Enzensberger und Aristophanes mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft zu verglei-
chen. Für die historische Distanzierung war und ist dann immer noch Gelegenheit - aller-
dings auch Veranlassung. Damit komme ich schon zum Studium, das ich nach einem -
durchaus leidvollen, aber lehrreichen - Ausflug in die Welt des Militärs im nahegelegenen
Göttingen aufnahm.
Daß ich die Alten Sprachen und Geschichte studieren würde, war keine Frage, und der
Rest entwickelte sich nahezu von selbst. Mit dieser Fächerkombination geriet ich verdächtig
nahe an die Alte Geschichte, und diese war in Göttingen präsent in der überragenden Gestalt
von Alfred Heuß. Ihm bin ich ziemlich schnell verfallen, schon deshalb, weil ich sofort den
Eindruck gewann, er stehe mit der Geschichte sozusagen auf dem Duzfuß. Er hatte eine
Leichtigkeit, Direktheit und Respektlosigkeit (auch sprachlich) im Umgang mit seinem
Gegenstand, daß man wirklich merkte: Hier waren „die Alten“ von dem „phantastischen
Kothurn“ in die „reale Welt“ versetzt, „wo gehaßt und geliebt, gesägt und gezimmert, phan-
tasiert und geschwindelt wird“ - um es mit Mommsens Worten auszudrücken. Später merk-
te ich dann, wieviel gedanklich-theoretische Arbeit hinter solcher Plastizität, ja Saloppheit
stand. Drei Dinge kamen bei Heuß zusammen, auf die wir Historiker eigentlich nicht ver-
zichten können: die eingehend-umwälzende, alle Tiefen auslotende Interpretation der Quel-
len, die von hoher Gedankenschärfe geprägte konzeptionell-theoretische Durchdringung
historischer Zustände und Prozesse sowie die von narrativer Kompetenz und kontrollierter
Phantasie getragene Präsentation historischen Geschehens. Sie werden verstehen, daß ange-
sichts solcher Gestalt, zumal bei meiner Prädisposition, mein Weg mich ganz rasch in die
Arme der Alten Geschichte führte.
Auf der anderen Seite standen ganz andere, durchaus drängende Erfahrungen und Erleb-
nisse, die sich einstellten, wenn man in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren stu-
dierte. Ich habe diese sogenannte „68er-Bewegung“ keineswegs nur als Belastung erlebt, son-
dern eher als positive Herausforderung, als heilsamen Zwang zur Überprüfung liebgewon-
nener, aber auch eingeschliffener Denkweisen, überhaupt als einen Impuls zu Freiheit und
Selbständigkeit nach manchen Spießigkeiten der Vergangenheit, als einen frischen Luftzug in
einer etwas stickigen Stube. In fachlicher Hinsicht profitierte ich von der Öffnung auch
gegenüber anderen Schulen und Konzepten, die in jenen Jahren forciert wurde, von der
lebendigen und unkonventionellen Diskussionsatmosphäre in diversen studentischen Zirkeln
und Arbeitsgemeinschaften. Vieles davon strahlte zunehmend auch auf den akademischen
Unterricht aus, nicht zuletzt bei Alfred Heuß, der als dezidierter Gegner aller dieser Vor-
gänge sie nichtsdestoweniger ständig thematisierte, weil sie ihn in ganz anderer Weise auf-
wühlten.
In diesem Ambiente formierte sich auch mein Interesse an dem gerade damals heiß dis-
kutierten Problem von Theorie und Praxis. In meiner Dissertation bin ich diesem im Bereich
meines Faches nachgegangen, an Hand eines athenischen Politikers, der als Paradigma eines
philosophisch, d. h. platonisch inspirierten Staatsmannes galt. Die Arbeit ist so bieder, daß
man ihr diesen zeitgeschichtlichen Impuls, der übrigens bei Doktorvater wie Doktorand
wirksam war, bestimmt nicht anmerkt. Vor allem aber war mein Interesse an - im weitesten
Sinne - sozialgeschichtlichen Fragestellungen geweckt. Und das hält - mit allen damit ver-
bundenen Facetten, insbesondere auch anthropologischen - eigentlich bis heute an.
In gewisser Hinsicht hatte ich mit meiner Habilitationsschrift mein Thema gefunden. Es
ging um Aufruhr und Bürgerkriege in der klassischen Zeit des antiken Griechenland, um das
Phänomen, das die Griechen stasis nannten und das unter dem Stichwort metabole potiteion
(Verfassungswechsel) auch in der griechischen Staatstheorie eine wesentliche Rolle spielt,
 
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