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Jahresfeier
Man kann schon aus diesen Befunden mit hoher Wahrscheinlichkeit ableiten, dass es
nicht zu einer Vermischung der Neanderthaler mit unseren Vorfahren kam. Durch die
überlangen Arme, den großen Kopf mit den Stirnwülsten und den gedrungenen Kör-
perbau, möglicherweise auch durch das Ausmaß der Behaarung müssen sich die Nean-
derthaler auch sehr deutlich von unseren Vorfahren unterschieden haben.
Der Kampf ums Dasein innerhalb des einhunderttausend Jahre währenden Zusam-
menlebens mit dem Homo sapiens war für die Neanderthaler vermutlich in erster
Linie eine Auseinandersetzung mit dieser anderen Menschenart, eine Auseinanderset-
zung, die sie verloren haben. Schabespuren an Neanderthaler-Knochen in der Eifel
und in Spanien legen nahe, dass sie erschlagen und verspeist wurden. Eine Menschen-
art mit eigener Kultur, die ihre Toten bestattete, die Werkzeugkenntnis und Waffen
besaß und die mit der Nutzung des Feuers vertraut war, konnte sich nicht gegenüber
den überlegenen Eindringlingen behaupten und verschwand aus der Geschichte.
Wir wissen heute nicht, ob uns - sicherlich dann auf einer anderen Basis - ein ähn-
liches Schicksal zuteil werden kann. Gewiß ist nur, daß wir uns gegenwärtig und auch
zukünftig selbst im Evolutionsprozeß befinden, selbst dann, wenn wir diesen in einem
gewissen Umfang künftig selbst steuern können.
Ein entscheidendes Element für das vor uns liegende Jahrhundert ist, daß im Men-
schen sich die Materie selbst zu verstehen beginnt und wir die Grundlagen des Lebens
einer mechanistischen Erklärung zuordnen können. Für viele wird ein bedrückendes
Maß an Vorhersagbarkeit individueller Entwicklungen zustande kommen, deren Pro-
blematik sicherlich folgende Generationen intensiv beschäftigen wird. Die Mystik des
Vitalismus, die noch den Beginn des vorigen Jahrhunderts gut überdauert hat, ist zer-
ronnen, die früher unbeugsame Schicksalhaftigkeit von Altern, Krankheit und Tod
wird zunehmend in Frage gestellt. Die Genomforschung wird in den kommenden Jah-
ren eine mechanistische Erklärung für die unterschiedlichen Lebensdauer von Faden-
wurm, Fruchtfliege, Maus und Mensch liefern. Schon heute zeigen sich dafür Ansät-
ze, da es gelingt, die Lebensdauer von Fadenwürmern, Fruchtfliegen und Mäusen
durch gentechnische Eingriffe deutlich zu verlängern. Dies ist sicherlich nur ein sehr
kleiner Ausschnitt der Perspektiven, denen wir - je nach Einstellung und Erziehung -
freudig oder betrübt entgegenschauen können.
Darwin hat uns mit seinen Vorstellungen die Basis für ein neues Verständnis von
uns selbst und von unserer Stellung in der belebten Welt geliefert. Er hat im klarsten
Sinne des Wortes ein neues Lebens- und Weltbild geprägt. Die Genomforschung lie-
fert heute dazu den Beweis und gleichzeitig auch ein erhebliches Maß an Detailkennt-
nis. Sie erlaubt uns, den Stammbaum des Lebens weit über den Menschen hinaus nach-
zuvollziehen. Das Ergebnis mag uns - je nach Weltanschauung - passen oder nicht
passen. An seiner Realität kommen wir ebenso wenig vorbei wie an der Realität der
Kugelform der Erde, die für die letzten Zweifler erst durch Satellitenaufnahmen
bewiesen wurde.
Erlauben Sie mir, nach diesen eher ernsten Ausführungen mit einer heiteren Note
zu schließen. Ich zitiere ein preisgekröntes Gedicht des Pfälzer Heimatdichters Gerd
Runck zum Thema
Ahneforschung:
De Darwin hat emole gsaacht
De Mensch stammt ab vum Aff.
Jahresfeier
Man kann schon aus diesen Befunden mit hoher Wahrscheinlichkeit ableiten, dass es
nicht zu einer Vermischung der Neanderthaler mit unseren Vorfahren kam. Durch die
überlangen Arme, den großen Kopf mit den Stirnwülsten und den gedrungenen Kör-
perbau, möglicherweise auch durch das Ausmaß der Behaarung müssen sich die Nean-
derthaler auch sehr deutlich von unseren Vorfahren unterschieden haben.
Der Kampf ums Dasein innerhalb des einhunderttausend Jahre währenden Zusam-
menlebens mit dem Homo sapiens war für die Neanderthaler vermutlich in erster
Linie eine Auseinandersetzung mit dieser anderen Menschenart, eine Auseinanderset-
zung, die sie verloren haben. Schabespuren an Neanderthaler-Knochen in der Eifel
und in Spanien legen nahe, dass sie erschlagen und verspeist wurden. Eine Menschen-
art mit eigener Kultur, die ihre Toten bestattete, die Werkzeugkenntnis und Waffen
besaß und die mit der Nutzung des Feuers vertraut war, konnte sich nicht gegenüber
den überlegenen Eindringlingen behaupten und verschwand aus der Geschichte.
Wir wissen heute nicht, ob uns - sicherlich dann auf einer anderen Basis - ein ähn-
liches Schicksal zuteil werden kann. Gewiß ist nur, daß wir uns gegenwärtig und auch
zukünftig selbst im Evolutionsprozeß befinden, selbst dann, wenn wir diesen in einem
gewissen Umfang künftig selbst steuern können.
Ein entscheidendes Element für das vor uns liegende Jahrhundert ist, daß im Men-
schen sich die Materie selbst zu verstehen beginnt und wir die Grundlagen des Lebens
einer mechanistischen Erklärung zuordnen können. Für viele wird ein bedrückendes
Maß an Vorhersagbarkeit individueller Entwicklungen zustande kommen, deren Pro-
blematik sicherlich folgende Generationen intensiv beschäftigen wird. Die Mystik des
Vitalismus, die noch den Beginn des vorigen Jahrhunderts gut überdauert hat, ist zer-
ronnen, die früher unbeugsame Schicksalhaftigkeit von Altern, Krankheit und Tod
wird zunehmend in Frage gestellt. Die Genomforschung wird in den kommenden Jah-
ren eine mechanistische Erklärung für die unterschiedlichen Lebensdauer von Faden-
wurm, Fruchtfliege, Maus und Mensch liefern. Schon heute zeigen sich dafür Ansät-
ze, da es gelingt, die Lebensdauer von Fadenwürmern, Fruchtfliegen und Mäusen
durch gentechnische Eingriffe deutlich zu verlängern. Dies ist sicherlich nur ein sehr
kleiner Ausschnitt der Perspektiven, denen wir - je nach Einstellung und Erziehung -
freudig oder betrübt entgegenschauen können.
Darwin hat uns mit seinen Vorstellungen die Basis für ein neues Verständnis von
uns selbst und von unserer Stellung in der belebten Welt geliefert. Er hat im klarsten
Sinne des Wortes ein neues Lebens- und Weltbild geprägt. Die Genomforschung lie-
fert heute dazu den Beweis und gleichzeitig auch ein erhebliches Maß an Detailkennt-
nis. Sie erlaubt uns, den Stammbaum des Lebens weit über den Menschen hinaus nach-
zuvollziehen. Das Ergebnis mag uns - je nach Weltanschauung - passen oder nicht
passen. An seiner Realität kommen wir ebenso wenig vorbei wie an der Realität der
Kugelform der Erde, die für die letzten Zweifler erst durch Satellitenaufnahmen
bewiesen wurde.
Erlauben Sie mir, nach diesen eher ernsten Ausführungen mit einer heiteren Note
zu schließen. Ich zitiere ein preisgekröntes Gedicht des Pfälzer Heimatdichters Gerd
Runck zum Thema
Ahneforschung:
De Darwin hat emole gsaacht
De Mensch stammt ab vum Aff.