5. Juni 2010
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auch an der posthumen Beförderung seines Großvaters zum „Heldenkaiser“ unter
dem Namen eines „Wilhelms des Großen“28.Wilhelm II. stand mit solchen dynastie-
politischen Bestrebungen keineswegs allein. Auch das im Jahre 1860 auf dem Hel-
denplatz in Wien enthüllte Reiterdenkmal des Erzherzogs Carl, der am 22. Mai
1809 bei Aspern über Napoleon triumphiert hatte, machte aus dem dynastischen
Feldherrn einen nationalen Heros und unterstrich im Kampf zwischen Preußen und
Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland auf diese Weise den Anspruch des
Hauses Habsburg auf Führung der deutschen Nation. Nach den Inschriften auf dem
Sockel wurde das Denkmal einerseits gut dynastisch dem „heldenmütigen Führer
der Heere Österreichs“, andererseits aber nationalpolitisch dem „beharrlichen
Kämpfer für Deutschlands Ehre“ gewidmet29.
Soweit charismatisches Heldentum auf Zuschreibung beruht, war es nicht
grundsätzlich ausgeschlossen, daß sich auch ein regierender Herrscher zum Helden
aufbauen ließ, sofern man glaubhaft machen konnte, daß die Sicherheit und Ehre der
Nation auf ihm ruhten. Nachdem Wilhelm II. zu Lebzeiten kein Held geworden
war, wurde ihm noch in den letzten Kriegstagen in der Abdankungskrise des
November 1918 vorgeschlagen, an der Front wenigstens den Tod eines Helden zu
suchen. Am Ende eines verlustreichen Krieges ohne Beispiel offenbart der Vorschlag
die ganze Fiktionalität einer Monarchie, die sich der parlamentarisch-demokrati-
schen Legitimation bis kurz vor ihrem Zusammenbrauch verweigert hatte. Dagegen
bestätigte die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten nur sieben Jahre später auf
ebenso unerwartete wie fragwürdige Weise die legitimierende Kraft charismatischen
Heldentums.
28 Vgl. die von Wilhelm II. persönlich angeregte Gedächtnisschrift: Oncken, Wilhelm, Unser Hel-
denkaiser. Festschrift zum hundertjährigen Geburtstage Kaiser Wilhelms des Großen, hg. von
dem Komitee für die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche zum Besten des Baufonds, Berlin 1897.
Das siebente Kapitel des Werks (S. 119—154) ist überschrieben: „Napoleons Friedensbruch und
der Held des Heiligen Krieges“.
29 Zit. nach: Romberg, Winfried, Erzherzog Carl von Österreich. Geistigkeit und Religiosität zwischen
Aufklärung und Revolution, Wien 2006, S. 20.
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auch an der posthumen Beförderung seines Großvaters zum „Heldenkaiser“ unter
dem Namen eines „Wilhelms des Großen“28.Wilhelm II. stand mit solchen dynastie-
politischen Bestrebungen keineswegs allein. Auch das im Jahre 1860 auf dem Hel-
denplatz in Wien enthüllte Reiterdenkmal des Erzherzogs Carl, der am 22. Mai
1809 bei Aspern über Napoleon triumphiert hatte, machte aus dem dynastischen
Feldherrn einen nationalen Heros und unterstrich im Kampf zwischen Preußen und
Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland auf diese Weise den Anspruch des
Hauses Habsburg auf Führung der deutschen Nation. Nach den Inschriften auf dem
Sockel wurde das Denkmal einerseits gut dynastisch dem „heldenmütigen Führer
der Heere Österreichs“, andererseits aber nationalpolitisch dem „beharrlichen
Kämpfer für Deutschlands Ehre“ gewidmet29.
Soweit charismatisches Heldentum auf Zuschreibung beruht, war es nicht
grundsätzlich ausgeschlossen, daß sich auch ein regierender Herrscher zum Helden
aufbauen ließ, sofern man glaubhaft machen konnte, daß die Sicherheit und Ehre der
Nation auf ihm ruhten. Nachdem Wilhelm II. zu Lebzeiten kein Held geworden
war, wurde ihm noch in den letzten Kriegstagen in der Abdankungskrise des
November 1918 vorgeschlagen, an der Front wenigstens den Tod eines Helden zu
suchen. Am Ende eines verlustreichen Krieges ohne Beispiel offenbart der Vorschlag
die ganze Fiktionalität einer Monarchie, die sich der parlamentarisch-demokrati-
schen Legitimation bis kurz vor ihrem Zusammenbrauch verweigert hatte. Dagegen
bestätigte die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten nur sieben Jahre später auf
ebenso unerwartete wie fragwürdige Weise die legitimierende Kraft charismatischen
Heldentums.
28 Vgl. die von Wilhelm II. persönlich angeregte Gedächtnisschrift: Oncken, Wilhelm, Unser Hel-
denkaiser. Festschrift zum hundertjährigen Geburtstage Kaiser Wilhelms des Großen, hg. von
dem Komitee für die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche zum Besten des Baufonds, Berlin 1897.
Das siebente Kapitel des Werks (S. 119—154) ist überschrieben: „Napoleons Friedensbruch und
der Held des Heiligen Krieges“.
29 Zit. nach: Romberg, Winfried, Erzherzog Carl von Österreich. Geistigkeit und Religiosität zwischen
Aufklärung und Revolution, Wien 2006, S. 20.