Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2010 — 2011

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2010
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 16. April 20
DOI Kapitel:
Koch, Peter: In der Werkstatt des Wortschatzes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55658#0075
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
16. April 2010

91

nen’ unterschiedliche Sprachen ein bestimmtes Konzept? Verändert sich die
Bezeichnung im Laufe der Diachronie? In dieser onomasiologischen Perspektive ist
offensichtlich, dass wir das Beispielmaterial in (3) und (6) zusammen sehen müssen
(7). Im Verhältnis zum klassischen Latein konstatieren wir im Rumänischen und
Sardischen Bezeichnungskonservatismus, in den übrigen Sprachen aber 'Bezeich-
nungswandel’ (\). Ebenso müssen wir das Beispielmaterial in (4) und (5) zusammen-
fassen (8). Im Verhältnis zum klassischen Latein konstatieren wir hier ausnahmslos in
allen romanischen Sprachen Bezeichnungswandel (\).

(7) Konzept WISSEN: klass.-lat. scire > rum. sti, sard. ischire/sciri \ ital. sapere,
rätorom. savair, franz, savoir, okz. saber, kat. saber, span, saber, port. saber
(8) Konzept FEUER: klass.-lat. ignis \ rum. foc, itA.fuoco, sard.fogu, rätorom. fau,
franz, feu, okz. foc, kat. foc, span, fuego, port. fogo
Wir wollen nun einen Blick in die „Werkstatt des Wortschatzes“ werfen und
Bezeichnungswandei, wie er in (7) und (8) dokumentiert ist, etwas systematischer
untersuchen, also nicht nur fragen, ob und wo in bestimmten Fällen ein Wandel ein-
tritt, sondern uns fragen, mit welchen sprachlichen und kognitiven Mitteln Bezeich-
nungswandel grundsätzlich hergestellt wird. An dieser Stelle kommt auch wieder
der anhand von (5) und (6) semasiologisch exemplifizierte Bedeutungswandel ms
Spiel, der nun jedoch, onomasiologisch gewendet, in anderem Licht erscheint:
Sprecher schreiben tatsächlich Ausdrücken immer wieder neue Bedeutungen zu,
aber nur deshalb, weil sie nach einer (neuen) Bezeichnung für ein Konzept suchen.
Wie uns die Neologismusforschung lehrt, ist allerdings der Bedeutungswandel
[A] nur eines von drei grundlegenden Verfahren der lexikalischen Erneuerung,
neben der Wortbildung [B] und der Entlehnung [C]. So ist beim Konzept FLEISCHER
klass.-lat. macellärius in der Romania an verschiedenen Orten und zu verschiedenen
Zeiten durch Neubezeichnungen ersetzt worden, wobei alle drei Verfahren zum
Zuge kamen: [A] Bedeutungswandel bei franz, boucher (9); [B] Wortbildung bei span.
camicero (10); [C] Entlehnung aus dem Französischen bei sizil. vucceri (11).
(9) Konzept FLEISCHER: klass.-lat. macellärius > altfranz. maiselier \ neufranz. bou-
cher < altfranz. bochier BOCKSSCHLÄCHTER
(10) Konzept FLEISCHER: klass.-lat. macellärius \ span, camicero span, carniza
FLEISCH EINES GESCHLACHTETEN TIERES
(11) Konzept FLEISCHER: klass.-lat. macellärius \ sizil. vucceri franz, boucher
FLEISCHER (vgl. (9))
Unbefriedigend ist der rein additive und desintegrierte Charakter dieser Systematik
lexikalischer Erneuerung. Die drei Verfahrenstypen [A], [B] und [C] — und auch die
zugehörigen Analysekategorien — scheinen gänzlich unverbunden nebeneinander zu
stehen. Dies ist aber nur em oberflächlicher Eindruck. So beruht beim Bedeutungs-
wandel [A] die ‘Metonymie’ auf Umperspektivierung entlang der Kontiguität zwi-
schen Elementen eines kognitiven Frame bzw. zwischen Frame und Element ((5):
HERD FEUER; (6): VERSTÄNDIG SEIN WISSEN). Es ist nun unschwer zu erkennen,
dass eine frame-interne Kontiguitätsrelation auch bei einer Wortbildung |B] wie
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften